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Fachkräfte aus dem Ausland beim Jobwechsel unterstützen

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Der Fachkräftemangel in Deutschland macht es aktuell für viele Unternehmen schwer, qualifizierte Mitarbeiter:innen im eigenen Land zu finden. Deshalb setzen sie auf Recruiting von Fachpersonal aus dem Ausland. Ein Jobwechsel über Landesgrenzen bedeutet sowohl für Firmen als auch die jeweiligen Angestellten einen deutlich höheren Aufwand. Wie Arbeitgeber:innen Fachkräfte aus dem Ausland beim Jobwechsel sinnvoll unterstützen können und was ein Relocation Service leistet, zeigt dieser Praxiseinblick.

Um einen Einblick zu bekommen, wie internationales Onboarding in der Praxis funktionieren kann, habe ich mich mit Roy* unterhalten. Der 27-jährige Ingenieur ist im Juli 2020, also mitten in der Pandemie, aus England in ein großes Unternehmen in Deutschland gewechselt – für die Liebe und die Aufstiegschancen, ohne nennenswerte Deutschkenntnisse. Er gab mir Einblicke in den Ablauf von Recruiting und Onboarding und skizzierte, welche Maßnahmen des Unternehmens ihm dabei halfen und welche Maßnahmen ihm persönlich gefehlt haben.

*Da dieses Interview sehr persönlich ist, bleiben sowohl Roy, als auch das Unternehmen, welches ihn rekrutierte, anonym. Außerdem wurde das Interview aufgrund der Einfachheit für den Interviewpartner auf Englisch geführt und für diesen Artikel im Nachhinein ins Deutsche übersetzt.

Auch wenn wir in Deutschland aktuell nicht mehr von einem “Ingenieurmangel” sprechen, zeigen die aktuell 80.500 freie Stellen im Ingenieurwesen, dass Fachkräfte, auch gerne aus dem Ausland, sehr gefragt sind. So war von Beginn an großes Interesse an Roy als Fachkraft da, als er über „University careers fair“ (einem Offline-Angebot seiner Universität), bei welchem sich Unternehmen persönlich vorstellen können, auf seinen jetzigen Arbeitgeber traf. 

Das Unternehmen organisierte daraufhin erst ein digitales Vorstellungsgespräch und dann ein weiteres vor Ort in der Nähe von Frankfurt, damit sich Roy einen Eindruck von der Firma und von der Umgebung machen konnte.

Am Ende entschied sich Roy für die Stelle. Die zentralen Gründe: unternehmensintern wird Englisch gesprochen, was Roy einen Arbeitseinstieg ohne Sprachbarrieren ermöglichte. Außerdem schienen die Aufstiegschancen groß zu sein. 

Umziehen & ankommen: Welche Maßnahmen seines Arbeitgebers Roy geholfen haben…

Um Roys Umzug und den Beginn seines Aufenthalts in Deutschland so angenehm wie möglich zu gestalten, wurden keine Mühen gescheut. Alle Kosten, die zum Beispiel durch die Reisen und Wohnungsbesichtigungen anfielen, wurden vom Unternehmen übernommen und der Arbeitgeber stellte einen Deutschkurs bereit. 

Als besonders hilfreich empfand er den vom Unternehmen bezahlten und organisierten „relocation service“. Um nicht selbst mit den Herausforderungen, die ein internationaler Umzug mit sich bringt, konfrontiert zu sein, gibt es eine Vielzahl solcher Agenturen, die diese Herausforderungen übernehmen. Sie begleiten den Umzug der jeweiligen Fachkraft und kümmern sich, wie auch in Roys Fall, um Visaanträge, Behörden- und Amtsgänge, z.B. beim Einwohnermeldeamt oder bei Versorgungsbetrieben (Strom, Gas, GEZ, …), die Wohnungs-, Schul- und Kitasuche sowie die Autoanmeldung und die Umschreibung des Führerscheins. 

… und welche Maßnahmen gefehlt haben

Durch den schnellen Umzug und trotz der Hilfe des Relocation Service hatte Roy Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche in Frankfurt. Aufgrund der drängenden Zeit war er gezwungen, übergangsweise in eine sehr ungemütliche Wohnung relativ weit entfernt von seinem neuen Arbeitsplatz zu ziehen. Eine vorübergehende, von seinem Arbeitgeber gestellte, Unterkunft wäre wünschenswert gewesen. 

Außerdem hätte sein Unwissen und die fehlende Recherche dafür gesorgt, dass er sich in dem Stadtteil, in welchem er zu Beginn gelandet sei, unwohl gefühlt habe. Informationen und Empfehlungen des Unternehmens zu Stadtteilen und Regionen, in denen man gut leben kann, oder Empfehlungen von Arbeitskollegen zu Wohngegenden wären an diesem Punkt für ihn sehr hilfreich gewesen.

Einarbeiten & ankommen am Arbeitsplatz

Trotz erschwerter Pandemiebedingungen fühlt sich Roy nach rund neun Monaten zugehörig und scheint ziemlich zufrieden. Er erzählt mir davon, dass tägliche Online-Meetings halfen, alle Kolleg:innen kennenzulernen. Sein Unternehmen organisierte außerdem Events unter freiem Himmel, damit auch ein Kennenlernen in etwas größerem Kreise stattfinden konnte. Besonders profitiert habe er davon, dass durch die Pandemie meist allerdings eher kleinere Meetings und Mittagessen vor Ort stattfanden. Dies half dabei, die Kollegen besser und sehr persönlich kennenzulernen und trug zu einer erfolgreichen Eingewöhnungsphase bei.

Fachkräfte aus dem Ausland beim Jobwechsel unterstützen: 4 Tipps

1.      Relocation Service als Hilfsmöglichkeit

Die Nutzung eines Relocation Service bietet eine hervorragende Möglichkeit, um der Fachkraft auf organisatorischer Ebene zu helfen und sich schnell im neuen Land und mit der Situation zurechtzufinden.

2.      Als Arbeitgeber vorübergehend eine Unterkunft stellen

Die Wohnungssuche in einem anderen Land, in einer anderen Sprache, in einer Großstadt und am besten spontan –  ist schwierig! Als Arbeitgeber eine vorübergehende Unterkunft zu stellen, würde der Fachkraft sehr viel Stress ersparen.

3.      Insiderinformationen zur Stadt teilen

Wo wohnst du am schönsten und mit kurzem Weg zur Arbeit? Wie lernst du nach Feierabend dein neues Zuhause am besten kennen? Solche Informationen sollten Unternehmen in Welcome-Broschüren bzw. Relocationhandbüchern weitergeben können, um damit das Ankommen der internationalen Fachkraft zu unterstützen.

4.      Zu Beginn Meetings in kleinen Arbeitsgruppen

Kleine, übersichtliche Meetings vor Ort helfen, Kollegen schnell kennenzulernen und einen guten Bezug zueinander aufzubauen. 

Hybrid arbeiten: Unternehmen Vitra schafft Struktur

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Hybrides Arbeiten hat sich nachhaltig etabliert und wird auch nach Corona bleiben. Die flexible Unterteilung in Büroarbeit, Homeoffice oder gänzlich mobiles Arbeiten löst alte Ordnungen auf. Wie neue Strukturen entworfen und eingeführt werden können, macht das Familienunternehmen Vitra vor. 

Hybrides Arbeiten stellt spannende Anforderungen an Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter:innen. Alte formale Routinen (z.B. das Regelmeeting im großen Besprechungsraum) und informelle Gewohnheiten (z.B. der Kaffee mit der Kollegin) entfallen, neue digitale Kommunikationsformen (z.B. Workshops mit Whiteboards oder der Zoom-Spieleabend) werden erprobt. Insgesamt entsteht der Bedarf, den Arbeits- und Kommunikationsrahmen neu zu strukturieren, um Informationen weiter durch das Unternehmen fließen zu lassen und für die Mitarbeiter:innen Transparenz und Sicherheit zu schaffen. Worauf ist dabei zu achten und wie kann das gelingen?

Die Hybrid-Work-Typologie bei Vitra

Ein gutes Beispiel, wie man hybrides Arbeiten strukturieren kann, gab Nora Fehlbaum, CEO des Möbelherstellers Vitra, in der „Distributed Work Session“ im März dieses Jahres. 

Vitra hat eine Hybrid Work-Typologie eingeführt und unterscheidet darin vier Gruppen von Mitarbeiter:innen:

  1. Workplace Residents
    Mitarbeiter:innen, die jeden Tag im Büro sind
  1. Workplace Enthusiasts
    Mitarbeiter:innen, die bis zu 75% Tag im Büro und entsprechend ca. 25% mobil oder im Homeoffice arbeiten
  1. Workplace Citizens
    Mitarbeiter:innen, die bis zu 50% Tag im Büro und entsprechend ca. 50% mobil oder im Homeoffice arbeiten 
  1. Nomads
    Mitarbeiter:innen, die nie im Büro sind (weil sie z.B. mobil in anderen Städten Vitra vertreten)

Jeder Mitarbeitende ordnet sich zunächst selbst einer Kategorie zu und bespricht dann ihre bzw. seine Zuordnung mit der Führungskraft – unter Berücksichtigung der Arbeitsanforderungen und der persönlichen Umstände des:der Mitarbeiter:in.

Auf dieser Basis wurde eine Schreibtischregel eingeführt: Nur Mitarbeiter:innen der Gruppen 1 und 2 bekommen einen festen Schreibtisch. Und: Bei der Schreibtischvergabe wird viel Wert darauf gelegt, Kolleg:innen aus verschiedenen Unternehmensbereichen zu mischen.

Nachdem der Rahmen gesetzt war, wurde viel Wert auf Planung und Kommunikation gelegt. Jetzt gilt: Für jede Arbeitswoche wird eine Planung zwischen Mitarbeiter:in und Führungskraft abgestimmt – und direkt mit dem Team geteilt sowie für alle zugänglich gemacht.

Das Ziel: Alle sollen wissen, wer wann persönlich vor Ort ist und wer wann nur über das Standardtool MS Teams erreichbar ist – so dass Meetings um diese Planung herum organisiert werden können.Über die Planung wird vermieden, dass Teammitglieder sich gar nicht mehr sehen. Die persönliche Nähe wird nicht dem Zufall überlassen.

Ergänzend kann eine Meetingregel eingeführt werden, die ausdrücklich die Familienfreundlichkeit im Blick hatte: Kein Meeting nach 16 Uhr!

Drei goldene Regeln für die Umsetzung

Das Beispiel zeigt, worüber man nachdenken sollte und wie neue Strukturen aussehen können. Jedes Unternehmen wird am Ende eigene Regeln für das hybride Arbeiten finden müssen, aber die goldenen Regeln für das Gelingen von Veränderungen bleiben die alten:

  1. Am Anfang steht eine klare und verbindliche Kommunikation, die ausdrücklich Feedback einfordert und dessen Wert deutlich macht.
  2. Direkt daran schließt sich an, dass die Führungsmannschaft die neuen Regelungen ausdrücklich unterstützt, einfordert und vorlebt. Um Vertrauen aufzubauen, dass man sich auf diese Regeln verlassen und diese auch einfordern kann. Und um zu zeigen, dass eine solche Kulturveränderung wirklich ernst gemeint ist. 
  3. Anschließend sollte man in der Chefetage genau beobachten, welche Auswirkungen die neuen Regeln haben, was funktioniert und wo nachgesteuert werden muss. In klarem Bewusstsein, dass eine solche Kulturveränderung nur in vielen kleinen Schritten gelingt. Was schon bei der Kommunikation und dem Stellenwert von Feedback berücksichtigt werden sollte. Siehe oben.

Wir müssen reden!

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In allen zwischenmenschlichen Beziehungen geht es um das Zusammenspiel von Distanz und Nähe. Die von Corona deutlich verstärkte räumliche Distanz wirkt auf unseren beruflichen Kontext und stellt eine alte Herausforderung an Führungskräfte in einen neuen Fokus: Nähe herstellen durch kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren. 

Wer von Euch kennt den Zustand, mit einer:m Partner:in in einer längeren Beziehung zu leben? Ich vermute, die Mehrzahl. All jenen können davon ausgehen, Expert:innen im Umgang mit Distanz und ihrem Gegenstück, der Nähe, zu sein oder mindestens bereits Erfahrungen damit gesammelt zu haben. Und das wird zukünftig auch im Arbeitsleben helfen, denn neben der eigentlichen Tätigkeit stehen immer Beziehungen im Mittelpunkt. Beziehungen zur Firma als Arbeitgeber, zum Vorgesetzten oder der Chefin, zu den Kolleg:innen, Kund:innen und Lieferant:innen. Beziehungen sind zwischenmenschlich und somit auch im Arbeitsleben das Bindemittel zwischen allen wichtigen Inhalten, Zielen, Strategien und Herausforderungen.

In Zeiten von Corona versuchen die meisten von uns auf unterschiedliche Weisen mit der neu entstandenen Distanz, ob räumlich oder gefühlt, umzugehen. Weil wir müssen.

Von räumlicher und emotionaler Distanz

Nehmen wir uns zuerst die räumliche Distanz vor. Wir sitzen im Homeoffice. Und viele finden das gar nicht so schlecht. So hat die Studie „The Future is Hybrid“ vom geschätzten SHIFTCOLLECTIVE herausgefunden, dass der Trend ganz klar zum 3+2-Modell geht. Drei Tage im Büro und zwei Tage Homeoffice (oder umgekehrt) ist das deutlich bevorzugte Modell, so ein Kernergebnis der Umfrage. Die Folge wird eine Umgestaltung der Büroräume vieler Firmen sein, die entsprechend mit bis zu 50% weniger Kolleg:innen in der Präsenzarbeit rechnen. Zudem eine Ausgestaltung der Homeoffices mit besseren Möbeln, besserer Technik, teilweise in komplett neu oder anders genutzten Räumen. 

Was uns zum nächsten Phänomen führt. In vielen Städten ist die Nachfrage nach mehr Wohnraum, nach größeren Wohnungen, eine direkte Folge. Ein Raum mehr für ein separates Homeoffice ist der akute Bedarf. In Städten wie Hamburg ein echtes Problem, weil es dort diesen bezahlbaren Wohnraum nicht gibt. Die Folge ist in der aktuellen brand eins/ Thema „Wir bauen um” beschrieben. Kleinstädte und Gemeinden im äußersten Speckgürtel boomen dank des Homeoffice-Trends. Statt des „15-Minuten-Quartiers“, in dem sich alles in einer Viertelstunde bequem erreichen lässt, gibt es zur Überraschung vieler Kommunen im Umland eine neue Schallgrenze: „In den kommenden Jahren wird jeder Standort interessant, von dem aus der Arbeitsplatz innerhalb einer Stunde erreichbar ist.“ – so wird dort Olaf Arndt von Prognos zitiert. Fazit: Die räumliche Distanz wird langfristig wachsen. Und Unternehmen werden auch damit umgehen müssen.

Unternehmen? Heißt: Die Menschen in den Unternehmen. Aus der räumlichen Distanz entsteht natürlich eine menschliche, emotionale Distanz. Und bevor die Führungskräfte als Verantwortliche zur Gestaltung der veränderten Rahmenbedingungen ins Spiel kommen, gilt es zunächst, einmal mit der negativen Konnotation dieses Begriffes aufzuräumen. Denn schließlich ist es ja nicht so, dass Menschen sich grundsätzlich besser fühlen und sich mehr mögen, je näher sie sich sind. Und auch Distanzlosigkeit ist nicht die Lösung, wie jeder aus dem Kontakt mit übergriffigen Zeitgenossen gelernt hat.

Von Führungskräften als Kommunikatoren

Aber im beruflichen Kontext geht es darum auch nicht. Vielmehr geht es in der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen schon immer um funktionale Informationsflüsse in alle Richtungen, also top-down, bottom-up und auch lateral. Diese sind einerseits über Berichtswege und Entscheidungskompetenzen formal angelegt. Andererseits läuft viel Kommunikation auch informell, z.B. über den kurzen Dienstweg, der so manchen Arbeitsprozess beschleunigt, weil sich Probleme über zugetane Kolleg:innen eben leichter lösen lassen. Und für beide Kommunikationsarten müssen Führungskräfte Angebote schaffen, um Distanz zu überwinden und die notwendige Nähe im Unternehmen, in Teams und zwischen Kolleg:innen herzustellen. Und das geht, indem man für Kommunikation sorgt, und zwar eher mehr als weniger. 

Hybrid arbeiten: Ideen zur Umsetzung gibt Marc im Artikel über die Struktur bei Vitra

Ich muss als Führungskraft mehr kommunizieren und mehr Aufmerksamkeit darauf lenken, wo meine Kolleg:innen und Mitarbeiter:innen Bedürfnisse signalisieren. Dafür brauche ich echtes Interesse und eine hohe Priorität für Kommunikation. “Mal eben so nebenbei” wird als Gegenteil von Wertschätzung wahrgenommen. 

Und ich sollte als Führungskraft für mehr Regelkommunikation sorgen, um die ausfallenden Gespräche an der Kaffeemaschine oder das Update im Treppenhaus zu kompensieren: Durch mehrere kleine, kurze Meetings, am besten zu Tagesbeginn. Innerhalb des Teams, unter Führungskräften, zwischen Geschäftsbereichen.

Communication is Key – das gilt heute mehr als je zuvor. Und auch das kennen wir ja aus unseren Beziehungen…

Duzen im Job: Zwei Buchstaben, mehr Nähe?

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„Siezen – boah, wie antiquiert!“ Inmitten der Diskurse um flache Hierarchien und mehr Vertrauen in der Arbeitswelt wirkt das distanzierte „Sie“ zunehmend als unzeitgemäß. Doch während Duzen über alle Ebenen und Altersstufen hinweg in neu gegründeten selbstorganisierten StartUps nichts Besonderes ist, kann es in lang bestehenden, sich nur langsam wandelnden Organisationen höchst irritierend daherkommen. Ist ein flächendeckendes “Du” aber notwendig, um den Wandel zu mehr Vertrauen und Nähe in Teams zu unterstützen? Wer auf diese Frage eine eindeutige Antwort erwartet, den muss ich leider enttäuschen. Wer aber Lust hat, sich gemeinsam mit mir Gedanken zu machen, sollte weiterlesen.

Letztens klingelte mein Telefon. Am anderen Ende der Leitung: das Mitglied eines fünfköpfigen Vorstandes, für den ich aktuell ein Projekt abwickle. Der Anruf kam eine halbe Stunde, nachdem der Vorstand und ich wieder einmal digital getagt hatten. „Ich rufe nur kurz an wegen einer Sache, die ich eigentlich lieber persönlich machen würde“, hörte ich den Anrufer sagen. „Aber da wir uns pandemiebedingt ja auch in den kommenden Wochen nie sehen werden, mach ich es auf diesem Wege: Ich wollte anbieten, dass wir uns Duzen.“ 

Man muss wissen: Zwei der Vorstandsmitglieder kannte ich bereits vorher und duzte sie. Zwei andere hatten in persönlichen Mails oder Zwiegesprächen mit mir vom Sie aufs Du gewechselt. Einzig der fünfte im Bunde und ich waren noch per Sie. Was mich nicht störte, aber natürlich auffällig war. Und dazu führte, dass ich bei Mails an alle fünf Vorstandsmitglieder immer mit vollständigem Namen unterzeichnete. 

Duzen im Job: Nicht immer ein Signal für Nähe

Mischen sich in einer Gruppe Du und Sie, so ist das meist kein Problem, wenn sich diese Unterschiedlichkeit mit Blick auf ein Organigramm begründen lassen. Konkret: Siezt eine Führungskraft alle Mitglieder ihres Teams (und umgekehrt), während sich die Kolleg:innen innerhalb des Teams duzen, fühlt sich das gelernt und richtig an. Schon etwas außergewöhnlicher kommt es in klassisch organisierten Betrieben daher, wenn Führungskräfte ihre Teams duzen – gerade dann, wenn alle anderen Abteilungen oder Arbeitsbereiche es anders machen. Bereits hier stellt man sich die Frage: Signalisiert dieses Du eine echte Nähe oder nutzt die Führungskraft bzw. das Team das Du als Versuch, ein Gemeinschaftsgefühl zu kreieren, das im Alltag nicht besteht?

Ganz verzwickt wird es, wenn eine Ungleichbehandlung besteht. Wenn eine Abteilungsleitung im Montagsmeeting nur bestimmte andere Abteilungsleiter:innen duzt oder auf der Baustelle die Bauleitung lediglich die junge Handwerkerin, nicht aber die restlichen Handwerker. Hier wird Sprache zum Instrument. Um Nähe zu signalisieren – oder mangelnden Respekt.

Duzen im Job: Manchmal sogar Manipulation

Manchmal dient das Du auch der Manipulation, wie ich selbst erlebt habe. Als mir ein deutlich ältere Personalleiter als junge Pressesprecherin nach nur zwei Monaten im Unternehmen das Du anbot, fühlt sich das merkwürdig an. Ich wusste nicht, ob es Vertrauen in meine Arbeitsleistung signalisieren oder eine schmierige Anmache sein sollte. Ich stimmte trotz der Verunsicherung zu – um nicht unhöflich zu sein. Schnell merkte ich dann: Das Du sollte eine Nähe schaffen, die ihn an mehr Informationen bringt. Wissen ist in der Arbeitswelt leider noch immer Macht – und dieser Mann wollte so viel Wissen wie möglich. Ich gab es ihm trotz der formell Vertrauen vortäuschenden Anrede nicht, die Zusammenarbeit wurde konfliktreich – am Ende stellte ich ohne Ankündigung wieder aufs Sie um. In Mails und in Besprechungen. Um Grenzen sichtbar zu machen. 

Lange Rede, kurzer Sinn: Es ist keine einfache Kiste mit der Ansprache im Berufskontext. Die aus meiner Sicht wichtige Entwicklung, Hierarchien abzubauen und lieber in Rollen statt in Positionen zu denken, macht das Ganze nicht leichter, jedenfalls nicht für bestehende Unternehmen.

Duzen im Job: Verbaler Startschuss für gewünschte Unternehmenskultur

Wird ein Unternehmen neu gegründet, so hat man es leicht: Man kann von Vornherein einheitlich das Du einführen. Aber wie ist das mit bestehenden Unternehmen? Mit Behörden? Wie soll man sich das vorstellen? Sagt der Geschäftsführer bei der Betriebsversammlung dann „Übrigens – ab heute wollen wir uns alle Duzen. Ich bin der Horst!“? Eine Haufe-Studie kommt zum Ergebnis, dass solch ein Vorgehen keine Jubelstürme in der Belegschaft auslöst. Von den 1.306 befragten Personen findet eine verbindliche Kultur des Duzens zwar mehr Zustimmung als eine verbindliche Siez-Kultur. Die mit großem Abstand stärkste Zustimmung findet jedoch ein Modell, bei dem der Arbeitgeber nichts vorgibt.

Aber es gibt sie, Organisationen, die radikal vom Sie aufs Du umstellen. Der Chef der Otto Group, Hans-Otto Schrader, hat das bereits 2016 gemacht. „Das Du ist ein äußeres Zeichen, dass etwas Neues beginnt, eine Art verbaler Startschuss für unser Projekt Kulturwandel 4.0.“ sagte er damals im Interview mit der Wirtschaftswoche. 2020 hat XING als vergleichsweise lebloses Karrierenetzwerk die förmliche Ansprache gestrichen. Zu den Beweggründen heißt es: „Das „Sie“ steht für eine hierarchische Denk- und Arbeitsweise, mit der wir uns bei XING nicht mehr identifizieren können. In der Zukunft der Arbeit sollte sich unserer Meinung nach niemand mehr aufgrund des Alters oder der Position wichtiger fühlen dürfen als irgendjemand anderes. Das „Du“ schafft Nähe und eine emotionale Verbundenheit, die auch in einem professionellen Umfeld zu einem signifikant besseren Miteinander führt. Schließlich kommt man mit dem „Du“ deutlich leichter zum „Wir“ als mit dem traditionellen „Sie“. 

Die radikale Entscheidung für das Du – auch in Stellenanzeigen oder auf der Website – ist in diesen Zeiten ein unternehmenskulturelles Statement. Dick unterstrichen und mit drei Ausrufezeichen steht zwischen den Zeilen: „Seht her, wie wollen anders arbeiten als bislang. Emotionaler, näher, weniger hierarchisch.“ Wie bei allen Maßnahmen in einer Organisation kommt es dann aber darauf an, diesem Versprechen im Alltag auch gerecht zu werden. Ein Du allein schafft keine Augenhöhe, keine wertschätzende Verbundenheit. Das schaffen Taten.

Duzen im Job: Manchmal ein Geschenk

Daher ist es aus meiner Sicht nicht zwingend nötig, eine radikale Änderung vom Sie zum Du beschließen, um sich als Unternehmen mehr und mehr einer bedürfniszentrierten neuen Arbeitswelt anzunähern. Schafft man es auf andere Art und Weise Wertschätzung, Nähe und Augenhöhe ins Teams zu bringen, kommt das Du von ganz allein – und ist dann auch authentisch. Und selbst wenn nicht, ein Sie steht einer empathischen und konstruktiven Zusammenarbeit nicht im Wege.

Ach ja, über den eingangs erwähnten Anruf freute ich mich übrigens sehr. Weil solch ein bewusster höflicher Umgang mit dem Wechsel vom Sie aufs Du selten geworden ist. Weil ich ihn in diesem konkreten Fall tatsächlich als Vertrauen in meine Arbeit empfand. Als Geschenk. Ein Geschenk, dass es beim inflationären Gebrauch der Anrede Du nicht mehr geben wird.

So bleiben Mitarbeitende in der Elternzeit nah dran

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Wenn Mitarbeitende einige Monate oder sogar Jahre Elternzeit nehmen, entsteht unwillkürlich eine gewisse Distanz zwischen ihnen und ihrem Unternehmen. Arbeitgeber:innen und Führungskräfte können aber durch gezielte Maßnahmen dazu beitragen, dass der (emotionale) Abstand nicht zu groß wird und sich die jeweiligen Angestellten bei ihrer Rückkehr noch immer als gut informierter und fest verankerter Teil der Organisation fühlen. Wie genau das klappt, weiß unsere Gastautorin Katja Schumacher.

Am Ende meiner ersten Elternzeit 2011 war ich recht optimistisch. „Ich komme dann einfach zurück in meine Führungsposition, vielleicht mit ein wenig reduzierter Arbeitszeit, und gemeinsam mit meinem großartigen Team werde ich das schon schaukeln“, dachte ich. Aber – Pustekuchen! Mein Arbeitgeber hörte sich meine Vorstellungen an und teilte mir nach einem kurzen Stirnrunzeln in knappen Worten mit, dass sich Führung nicht teilen ließe. Mein Learning: Über die Vorstellungen, wie es mit einem Beschäftigungsverhältnis nach einer Elternzeit weitergeht, können beide Seite gar nicht früh genug sprechen. 

Auch in meiner späteren Position als Personalerin habe ich gemerkt, dass sich viele Mitarbeitende während ihrer Elternzeit abgehängt fühlen. Oft beginnt dieses Gefühl schon wie ein kleines Saatkorn zu keimen, wenn die Mitarbeiterin der Führungskraft von ihrer Schwangerschaft berichtet. Gleiches passiert auch Vätern, die ihren Vorgesetzten vom Elternzeitwunsch erzählen, vor allem, wenn dieser umfangreicher ausfällt als die „salonfähigen“ zwei Vätermonate.

Erfolgreicher Wiedereinstieg – Fundament für Familienfreundlichkeit im Unternehmen

Familienfreundlichkeit ist heute mehr denn je ein wichtiger Baustein für die Attraktivität von Arbeitgebenden. Spätestens wenn Mitarbeiter:innen Eltern werden, wird das Attraktivitätsmerkmal Familienfreundlichkeit auf den Prüfstand gestellt. Fällt die Prüfung negativ aus, kann dies zur Eigenkündigung des Elternteils führen. 

Ξ Sind Angestellte in der Pandemie überhaupt wechselwillig?  Dieser Frage ist Sophie in dieser Ausgabe nachgegangen.

Ich beschreibe das Thema Familienfreundlichkeit gern wie ein Haus: Verschiedene individuelle Maßnahmen haben dort ihren Platz, aber der erfolgreiche Wiedereinstieg ist immer das Fundament. Unternehmen können das Thema Wiedereinstieg als große Chance für die Bindung ihrer Mitarbeitenden nutzen, indem sie sich dem annehmen und einen wertschätzenden, durchdachten Prozess kreieren. Hier können sie vieles anders und besser machen als das aktuell der Fall ist.

Erfolgreicher Wiedereinstieg – das können Unternehmen dafür tun

Unternehmen können konkrete Maßnahmen ergreifen, um Mitarbeiter:innen über eine Elternzeit und den darauffolgenden Wiedereinstieg erfolgreich an sich zu binden.

Hierbei ist zu bedenken, dass kein Unternehmen gleich ist. Der Handwerksbetrieb wird seine:n Meister:in nicht unbedingt mit Homeofficelösungen locken können, während IT-Entwickler:innen prima fragmentiert von zu Hause arbeiten können. Es müssen daher individuelle Lösungen her. Die folgende Checkliste kann dabei helfen, sie zu entwickeln.

Checkliste für den Wiedereinstieg

  • Hurra, Sie werden Eltern!

Frauen schreiten häufig wie ein Lamm zur Schlachtbank, wenn es darum geht, dem:der Chef:in von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Vielleicht liegt das an einem sprichwörtlich angeborenen schlechten Gewissen (den Arbeitgeber „hängen lassen zu müssen“), vielleicht auch an vorherigen schlechten Erfahrungen – selbst erlebt oder von anderen berichtet. Reagieren Sie im ersten Gespräch daher mit einer uneingeschränkt positiven Reaktion. Sorge über die Aufgabenverteilung, nach dem Motto, „Oh Gott, was machen wir denn ohne Sie“, haben in so einem Gespräch besser keinen Platz, und können zu einem späteren Zeitpunkt in einem Gespräch mit Planungscharakter behandelt werden. Gleiches gilt selbstverständlich für Elternzeitwunschgespräche mit Vätern.

  • Stellen Sie Informationsmaterial zusammen 

Elternzeit, Elterngeld (Basis oder Plus?), Mutterschutz, Lohnfortzahlung, Kitaplatzsuche….Tausend Themen, die werdende Eltern bewegen. All das will recherchiert werden. Warum nicht den:die Mitarbeiter:in mit einem Infopaket dazu unterstützen? Informationen bekommen Unternehmen zum Beispiel hier BMFSFJ – Elterngeld, ElterngeldPlus und Elternzeit.

  • Türen öffnen statt schließen 

Kürzlich erzählte mir eine Klientin, dass ihr kurz nach Bekanntwerden ihrer Schwangerschaft verantwortungsvolle Aufgaben weggenommen wurden. Mit neuen Projekten wurde sie nicht mehr betraut, weil die Führungskraft befürchtet, der Kunde wäre am Ende verärgert, wenn durch ihre Elternzeit sein(e) Ansprechpartner:in wechselte. Die Sorge ist vielleicht nicht ganz unberechtigt, aber wie wäre es stattdessen, offen mit der schwangeren Mitarbeiterin zu sprechen, wie hier Lösungen entwickelt werden können und auch dem Kunden gegenüber offen mit dem Thema umzugehen? Zu einem familienfreundlichen Mindset von Führungskräften und Belegschaft gehört auch das Vertrauen in und die Wertschätzung für die Arbeit von (werdenden) Eltern. Falsches Bemuttern und in Watte packen wirkt hier eher demotivierend. Eine schöne Lösung: Stellen im Tandem besetzen, sodass auch während Familienzeiten ein:e konstante:r Ansprechpartner:in bleibt. Tolle Lösungen bieten da Unternehmen wie die Twise GmbH und Pairforming.

Ξ Job-Tandem auf Führungsebene: In unserer zweiten Ausgabe berichten zwei Führungskräfte von HAMBURG WASSER, wie sie sich ihre Position teilen

  • Entwicklungsgespräch vor der Auszeit 

Natürlich wünschen sich Unternehmen ihre Mitarbeitenden motiviert und leistungsfähig zurück. Ein erstes Gespräch zu den Vorstellungen des:der Mitarbeiter:in für die Rückkehr sollte vor Beginn der Elternzeit geführt werden. Ohne Forderungen zu stellen, können Sie hier zeigen, wie wertvoll Ihnen der:die Mitarbeiter:in ist und dass Sie ihn oder sie auch weiterhin bei seiner bzw. ihrer Entwicklung im Unternehmen unterstützen möchten. 

  • In Kontakt bleiben 

Nehmen Sie es Müttern und Vätern nicht übel, wenn der versprochene erste Besuch mit Baby auf sich warten lässt. Der Fokus ändert sich durch ein neues Familienmitglied oft enorm. Fragen Sie, wie es dem:der Mitarbeiter:in geht, machen Sie immer wieder Kontaktangebote und laden Sie Elternzeitler:innen konsequent zu allen Events ein. Dazu gehören auch Weiterbildungsangebote, die Mitarbeitende in Elternzeit gerne annehmen, um fachlich am Ball zu bleiben. Leiten Sie wichtige Informationen weiter und überlegen Sie, ob es nicht möglich ist, überlassene Hardware, Email-Accounts etc. für die Elternzeit weiter bestehen zu lassen. Schnell kann ein:e Mitarbeiter:in in Elternzeit so auch mal unterstützen, wenn es im Betrieb brennt, etwa bei Krankheit oder in Urlaubszeiten. Natürlich nach vorheriger Absprache.

  • Reboarding leicht gemacht 

Nun ist es so weit, der:die Mitarbeiter:in kommt bald zurück und beide Seiten wünschen sich einen schnellen und reibungslosen Wiedereinstieg. Zur langfristigen Planung dient bereits das Planungsgespräch vor der Auszeit und auch während der Elternzeit sollte eine Art Realitätscheck erfolgen, sobald auch wichtige Punkte wie die Aufteilung der Aufgaben unter den Eltern und die Lösung der Kinderbetreuung Gestalt annehmen. Denn dann kann konkret über Aufgaben, Arbeitszeit und Arbeitsmodell gesprochen werden. 

Vor dem großen Tag empfehle ich dann ein weiteres persönliches Gespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter:in um noch offene Fragen zu klären und die gegenseitigen Erwartungen abzugleichen. Am ersten Tag zurück im Unternehmen hilft ein herzlicher und gut organisierter Empfang dem:der Mitarbeiter:in, sich schnell wieder gut zurück und willkommen zu fühlen. Dazu gehören:

– ein Rundgang durch den Betrieb, um neu hinzugekommene Kolleg:innen vorzustellen und den persönlichen Kontakt zu allen Kolleg:innen wieder herzustellen.

– ein Willkommensmeeting im Team – (gerne mit einem kleinen Willkommensgruß in Form von Blumen, Schokolade o.ä)

– umfassende und gut aufbereitete Informationen über veränderte Vorgänge, aktuelle Projekte, neue Strukturen

– schrittweise und gut begleitete Aufnahme der Aufgaben

– Unterstützung durch eine:n Mentor:in, der:die gerne bereits während der Auszeit den Kontakt zum:zur Mitarbeiter:in gehalten hat und nun mit Rat und Tat zur Seite steht


Als Coach und Beraterin begleitet Katja Schumacher Eltern nach Familienzeiten beim Wiedereinstieg in den Job und unterstützt Unternehmen dabei, familienfreundlich erfolgreich zu sein. Sie war 12 Jahre lang ohne und mit Kind(ern) in verschiedenen Unternehmen als Führungskraft und HR-Managerin tätig und blickt deshalb immer aus beiden Blickwinkeln auf das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf: unternehmens- und elternseitig.

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Wieviel Kontrolle braucht Führen auf Distanz?

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“Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser”  – wir alle kennen dieses Sprichwort. In der Arbeitswelt hat sich diese Haltung in den letzten Jahren stark gewandelt. Kontrolle – nein danke! Vertrauen – unbedingt! Doch kann das in der Praxis immer gut funktionieren? Besonders jetzt und künftig, wo die tägliche Büropräsenz zunehmend durch hybrides Arbeiten ersetzt wird? Wo Homeoffice normal und Arbeitszeiten flexibel sein dürfen? Unsere Gastautorin, Businesscoach Doris Ipsen, meint: Jein. Kontrolle an der richtigen Stelle ist ihrer Ansicht nach ein Zeichen von Wertschätzung.

“Kontrolle” steht per Definition für eine Handlung, die überprüft, ob alles in Ordnung ist. Klingt erstmal gut, oder? Immer mehr Führungskräfte betonen aber, dass sie ihre Mitarbeiter:innen „keinesfalls kontrollieren wollen“ – aus Sorge, nicht fürsorglich und empathisch wahrgenommen zu werden und vielleicht den Stempel eines Hardliners aufgedrückt zu bekommen.

Und ich höre Mitarbeiter:innen, die sich beklagen, dass ihre Führungskraft ihnen nicht vertraut und Kontrollmechanismen einbaut. Die sich gegängelt und eingeengt fühlen durch Fertigstellungstermine und Nachfragen der Leitungsebene. Beides verstehe ich sehr gut.

Führen auf Distanz: Vertrauen und Kontrolle sind kein Widerspruch

Trotzdem müssen wir uns eine Frage stellen: Stehen Vertrauen und Kontrolle tatsächlich in einem Widerspruch?  Aus meiner Sicht keinesfalls! Für mich gehören sowohl Kontrolle als auch Vertrauen zu einer guten Zusammenarbeit dazu, sie sind wichtige Bestandteile geschäftlicher Beziehungen.

Eine der primären Aufgaben einer Führungskraft ist es, Ziele vorzugeben – und regelmäßig zu überprüfen, ob diese Ziele erreicht werden (können). Kontrolle ist dabei nicht als misstrauische Überwachung oder Schikane zu verstehen. Sondern als eine gesunde und konstruktive Kommunikation über die gemeinsame Zielsetzung. Denn wie sonst könnte eine Führungskraft die Arbeit des Teams wertschätzen und verstehen, wenn sie Leistungen nicht sichtet? Wie können Abläufe verbessert werden, wenn es keine Gespräche über sie gibt? 

Führen auf Distanz: Kontrolle signalisiert Interesse

Und vor allem: Wie fühlen sich Mitarbeiter:innen, die Aufgaben bekommen, bei denen sich hinterher niemand für die Ergebnisse interessiert? Jeder Mensch wünscht sich Anerkennung für seine geleistete Arbeit. Wie demotivierend ist es da, nicht das Gefühl zu bekommen, dass die eigene Arbeit ein wichtiger Teil für das Unternehmen darstellt? Für die Motivation ist nicht nur die Sinnhaftigkeit der Arbeit entscheidend – sondern auch das Gefühl, für seine Taten wahrgenommen zu werden und nicht belanglos zu sein.

“Mitarbeiter:innen dürfen nicht das Gefühl haben, dass es egal ist, was sie tun und ob sie etwas tun.”

Doris Ipsen

Das Zusammenspiel von Kontrolle und Vertrauen ein wichtiger Bestandteil, die Arbeitswelt in eine neue Dimension zu bringen. Eine Arbeitswelt, in der Zeiten und Orte eine untergeordnete Rolle spielen und gemeinsame Ziele, Ergebnisse, Werte und individuelle Stärken Vorrang haben.

Meine Empfehlung an Führungskräfte:

Alle Aufgaben, die an Mitarbeiter:innen ausgegeben werden, müssen zwingend nachgehalten werden. Dafür benötigt jede Führungskraft ihr eigenes System, um entsprechend den Überblick zu behalten, Prioritäten zu setzen sowie Termine nachzuhalten. Mitarbeiter:innen dürfen nicht das Gefühl haben, dass es egal ist, was sie tun und ob sie etwas tun. Gute Ergebnisse haben Wertschätzung und Aufmerksamkeit verdient.

Meine Empfehlung für alle Mitarbeiter:innen:

Die Überprüfung der geleisteten Termine auch eigenverantwortlich einfordern. Nur somit erhält die Führungskraft die Gelegenheit um Wertschätzung für die Arbeit, Ergebnisse und Lösungen anzubringen. Vorgesetzte müssen überhaupt die Gelegenheit bekommen, Lob auszusprechen.


Doris Ipsen ist Businesscoach und Führungskräftetrainerin aus Husum mit den Schwerpunkten Unternehmertum und Mitarbeiterführung. Ihr Ziel ist es, gemeinsam mit den Kunden die Werte der Arbeitswelt neu zu definieren und ein Bewusstsein für die Ergebnisse von Führung zu schaffen.  Web | XING | Facebook

Führen auf Distanz als Chance für echte Nähe

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Das vermehrte Führen auf räumliche Distanz bringt nicht nur neue Herausforderungen mit sich, sondern birgt gleichzeitig eine große Chance für die Beziehung zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitenden: Es bringt Führungskräfte in die Situation, sich mit dem Schaffen echter Nähe zu ihren Mitarbeitenden auseinanderzusetzen. Was bedeutet das und wie kann dies gelingen? Antworten sowie Einblicke in den DB Konzern von Gastautorin Marie Meininger.

Dass das Führen virtueller Teams auf räumliche Entfernung immer mehr an Bedeutung gewinnen würde, hatte sich bereits deutlich vor Beginn der Corona-Pandemie durch globale Zusammenarbeit oder mehr Selbstbestimmung in den Arbeitsbedingungen abgezeichnet. Im letzten Jahr hat das Thema aus bekannten Gründen einen rasanten Aufschwung erfahren. Über Nacht stampften Personalentwicklungsabteilungen Trainings, Leitfäden und Checklisten aus dem Boden, um ihre Führungskräfte in der neuen Rolle und den damit einhergehenden Herausforderungen zu unterstützen. 

Trügerische Nähe im analogen Raum

Mittlerweile sind wohl die meisten von uns im Arbeitsalltag auf Distanz angekommen. Wir haben sämtliche versteckten Funktionen unseres Chat- und Kommunikationstools entdeckt, unsere Online-Workshops bis ins letzte Detail optimiert und sogar unsere gemeinsamen Mittagspausen in den virtuellen Raum verlegt. Dennoch haben Führungskräfte teilweise noch immer die Befürchtung, nicht nah genug an ihren Mitarbeitenden dran zu sein. Im besten Fall aus Sorge, ihre Probleme und Sorgen nicht rechtzeitig zu erkennen. Im schlechtesten Fall aus Angst, deren Produktivität nicht ausreichend kontrollieren zu können.

Ξ Vertrauen vs. Kontrolle: Über die Frage, wieviel Kontrolle Führen auf Distanz braucht, hat sich Doris Ipsen in dieser Ausgabe gedanken gemacht.

Dort, wo sonst persönliche Begegnungen im Büro, in der Kaffeeküche oder im analogen Meeting eine scheinbare Nähe suggerierten, wirkt es in der virtuellen Zusammenarbeit teilweise schwieriger und aufwändiger in den Austausch zu kommen und den Kontakt nicht zu verlieren. 

Echte Nähe auch auf Distanz

Tatsächlich aber entsteht echte, emotionale Nähe nicht durch räumliche Präsenz, sondern durch wahrhaftiges Interesse an den Mitarbeitenden, durch ehrlichen und wertschätzenden Austausch und durch einen menschen- und stärkenorientierten Fokus in der Zusammenarbeit. All diese Aspekte gelten für den analogen und virtuellen Raum in gleicher Weise. Durch den Wegfall der symbolischen räumlichen Nähe in der Präsenzarbeit wird nun die Frage nach dieser echten Nähe stärker sichtbar, was gleichzeitig eine Chance für die Qualität unserer Arbeitsbeziehungen bedeuten kann. Verschiedene Denkweisen und Instrumente können uns dabei helfen, diese echte Nähe auch im virtuellen Raum herzustellen und zu fördern.

Führung auf Distanz im DB-Konzern

Im DB-Konzern wird nicht erst seit den aktuellen Entwicklungen in der Praxis auf Distanz geführt. Als bundesweit und teilweise sogar global aufgestellte Organisation arbeiten Teams an unterschiedlichen Standorten zusammen. Viele unserer Mitarbeitenden arbeiten außerdem im Schichtbetrieb und treffen ihre Führungskräfte nur in unregelmäßigen Abständen persönlich. Anfang des Jahres haben wir daher ein digitales Feedback- und Beurteilungstool konzernweit implementiert, welches es ermöglicht, sich losgelöst von analoger Begegnung wertschätzende Rückmeldungen auf allen Ebenen zu geben. Damit ist der Grundstein und die strukturelle Voraussetzung für niederschwelligen Kontakt auch auf Distanz gelegt, welcher eine Kultur der Sichtbarkeit und Wertschätzung individueller Stärken und Leistungen unserer Mitarbeitenden fördert.

Natürlich bieten auch wir Trainings und Seminare zum Führen auf Distanz an. Diese bilden eine Ergänzung zu unseren zentralen Kulturhebeln: dem Kompass für ein starkes Miteinander sowie unserem DB Rollenmodell. In diesen Orientierungsinstrumenten für Führungskräfte und Mitarbeitende haben wir Werte und Prinzipien unserer Zusammenarbeit festgelegt, die unter anderem auch die Wichtigkeit des wertschätzenden und auf den individuellen Mitarbeitenden ausgerichteten Dialogs betonen.

Auch wir stehen wie andere Unternehmen vor der Herausforderung, diese Instrumente tatsächlich durch unsere Führungskräfte und Mitarbeitenden in der gesamten Organisation zur Anwendung zu bringen und in den Bereichen zu verankern. Wir sind noch längst nicht am Ziel, arbeiten aber jeden Tag schrittweise daran. Dies tun wir unter anderem, indem breit aufgestellte Communitys die Themen von unten in die Organisation tragen, indem wir bereits bei Stellenbesetzungsverfahren auf die entsprechenden Werte achten und indem wir vielseitige Partizipations-, Netzwerk- und Austauschformate anbieten, um unsere Prinzipien noch sichtbarer zu machen und die Haltungen in der Organisation grundlegend zu verfestigen.

Drei Hinweise zum Nachdenken und zur praktischen Umsetzung

  • Echtes Interesse

Obwohl dieser Hinweis der wohl am einfachsten umzusetzende und extrem logisch erscheint, so zeigt die Arbeitsrealität häufig noch das Gegenteil. Immer wieder höre ich von Mitarbeitenden, dass sie sich nicht als Mensch wahrgenommen fühlen, dass es kein wirkliches Interesse an ihnen als Person gäbe und dass nicht auf ihre Bedürfnisse eingegangen werde. Wir Menschen allerdings sind kleine Narzissten: Wir mögen es, gelobt zu werden und Interesse an uns und unserer Arbeit zu erfahren und dadurch gesehen zu werden. So verstärkt sich der Sinn unserer Existenz und unseres Tuns.

Für die Führungskraft bedeutet das konkret: eine Chatnachricht oder ein Anruf nach den Terminen oder mal zwischendurch. „Du warst so still heute im Call, ist alles in Ordnung?“ oder: „Du hast etwas reserviert reagiert auf meinen Arbeitsauftrag, vielleicht hat es nur so gewirkt, sollen wir da nochmal drüber sprechen?“ Ja, das bedeutet Mehraufwand und ja, die meisten Führungskräfte leiden nicht an Langeweile. Dennoch: Auch nur kleine Zeichen von wahrem Interesse können sehr viel bewirken und sich langfristig durch zufriedene, produktive und loyale Mitarbeitende auszahlen.

  • Organisierter freier Austausch

Durch den Wegfall zufälliger Gesprächsmöglichkeiten auf dem Gang oder beim gemeinsamen Mittagessen rückt der Stellenwert organisierten freien Austauschs in den Vordergrund. Für die Führungskraft bedeutet das, dass es Sinn machen kann neben den regelmäßigen Team-Meetings wie Stand-Up oder Team-Jour Fixes auch einen wöchentlichen Einzeltermin unter vier Augen mit allen Mitarbeitenden einzustellen. 

Manchmal können 15 Minuten schon ausreichen, um Entscheidungen zu treffen oder einen unterstützenden Impuls zu setzen. Selbst, wenn es einmal nichts zu klären gibt, so bekommt die Führungskraft dennoch in diesem Zeitfenster die Möglichkeit, die aktuelle Stimmung des:r Mitarbeitenden einzufangen. Darüber hinaus können virtuelle gemeinsame Mittagspausen, Spaziergänge oder übergreifende Netzwerkformate im Unternehmen, den freien Austausch in Zeiten räumlich distanzierter Zusammenarbeit verstärken. Falls die Rahmenbedingungen es erlauben, sollten regelmäßige reale Treffen nicht in Gänze außen vor gelassen werden, da diese nach wie vor bestimmte Emotionen und Themen besser vermitteln und herstellen können als der virtuelle Raum.

  • Please Mister Postman

Ob man es nun als Effekthascherei bewerten möchte oder nicht. Wir bekommen gerne schöne Post. In Zeiten des verstärkten Home-Office ist sie an manchen Tagen der einzige Kontakt zur unserer analogen Außenwelt. Unternehmen nutzen das bereits und senden ihren Mitarbeitenden kleine Goodies zur Weihnachtsfeier oder einfach mal zwischendurch. Je persönlicher und durchdachter die postalische Überraschung, desto positiver die Wirkung beim Mitarbeitenden. Es sollte selbstverständlich sein, dass – ähnlich dem beliebten Tischkicker im Büro – eine postalische Aufmerksamkeit keine regelmäßigen Gespräche zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden ersetzen kann.


Autorin Marie Meininger

Marie treibt den kulturellen Wandel bei der Deutschen Bahn AG für ein starkes Miteinander voran. Als studierte Personalentwicklerin und HR Business Partnerin mit Schwerpunkten auf Führungskräfteentwicklung und Change hat sie vielseitige Stationen im HR unter anderem für Start-Ups sowie im öffentlichen Dienst durchlaufen. Darüber hinaus berät sie Organisationen in HR- und Entwicklungsfragen.

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Jobwechsel in Zeiten von Corona: Wie wechselwillig sind Mitarbeitende aktuell?

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Corona beweist: Auch in einer allgemein unsicheren Situation sind qualifizierte Mitarbeitende offen für einen Jobwechsel. Unternehmen sollten daher auch in der Pandemie der Frage nachgehen, wie sie Mitarbeitende in Schlüsselpositionen am besten halten können – gerade jetzt, wo persönliche Treffen ausfallen. Aktuelle Erkenntnisse und konkrete Vorschläge gibt es dazu im Folgenden.

Mit dem Jahr 2020 hätten wir gern auch die Pandemie abgehakt. Da aber entgegen kühnster Hoffnungen 2021 bisher auch keine echte Besserung brachte, haben Personalabteilungen noch immer alle Hände voll mit dem neuen Normalzustand zu tun.

Bisher ist viel passiert. Vor einem Jahr haben wir Personaler uns zunächst damit befasst, geeignete Arbeitsmittel in die Homeoffices zu schaffen. Kontingente für Büromöbel, Kuriere mit Bildschirmen aus der Firma, das obligatorische Care-Paket, das immer wieder gerne auf LinkedIn geteilt wurde – so fing es im vergangenen Frühjahr an. Der Weg schlängelte sich dann entlang von Mitarbeiterumfragen zur aktuellen Situation, wöchentlichen Firmenmeetings für mehr Transparenz und online stattfindenden Bierverkostungen für den sozialen Zusammenhalt bis hin zur digitalen Weihnachtsfeier.  

Wechselwilligkeit bei Arbeitnehmenden nach wie vor hoch

Was nach dem ersten Schock im vergangenen Frühjahr auch schnell deutlich wurde: der Arbeitsmarkt steht nicht still. Auch in Zeiten von wirtschaftlicher und organisatorischer Unsicherheit sind Mitarbeitende offen für einen Jobwechsel. Unternehmen sind umgekehrt nach wie vor auf der Suche nach qualifizierter Unterstützung, denn am Fachkräftemangel hat Corona wenig geändert. Wenn überhaupt, wird dieser gerade umso unbequemer. Denn wann, wenn nicht jetzt, entscheiden sich Mitarbeitende genauso wie Unternehmen, mit wem sie herausfordernde Zeiten gemeinsam beschreiten wollen?

Noch ist die Datenlage dazu knapp. Ein paar Erkenntnisse gibt es aber bereits. Trotz rekordhoher Kurzarbeitszahlen (im April 2020 waren es laut Statista fast 3x so viele wie im Rekordmonat Mai 2009) und steigenden Arbeitslosenquoten, erleben Unternehmen Eigenkündigungen. Die relativ große Welle an Kündigungen, typisch für den Anfang eines Jahres, dürfte auch 2021 zu spüren gewesen sein. 

Die Plattform Xing hat dazu eine Umfrage gestartet und herausgefunden, dass rund 1/3 der Befragten planen, in diesem Jahr ihren Arbeitgeber zu wechseln oder hierfür zumindest offen sind . Diese Zahlen weichen zwar leicht von der Wechselwilligkeit vorangegangener Jahre ab (Ende 2019 waren es bei der gleichen Umfrage 39% der Arbeitnehmenden), jedoch ist sie immer noch signifikant. Dies bedeutet für Unternehmen, dass sie nach wie vor handeln müssen, denn die Stellen, die voraussichtlich wegfallen sind nicht die, die auf Grund der Coronakrise ohnehin eingespart werden könnten. Es handelt sich in der Regel um gut bis sehr gut qualifizierte Mitarbeitende, die bewusst die Entscheidung treffen den Arbeitsplatz zu wechseln oder Angeboten von anderen Unternehmen gegenüber offen sind.

Gründe für den Jobwechsel

Die Gründe, die Arbeitnehmende für einen Jobwechsel angeben, liegen bei etwa 50% bei einem höheren Gehalt. Danach kommt das Verhältnis zu den Vorgesetzten und Kolleg:innen sowie generell der Anerkennung im Job. Zirka ein Drittel der Arbeitnehmenden wechselt aufgrund von Unterforderung und mangelnden Entwicklungsmöglichkeiten. Eine angemessene Work-Life Balance und Sinnhaftigkeit im Job sind derzeit als Gründe für Jobwechsel weniger stark vertreten.

Jobwechsel in der Pandemie: ein Austausch unter Kolleg:innen

Der Austausch mit Kolleg:innen aus dem Personalbereich gibt zusätzlich zu den zitierten Zahlen praktische Einblicke. Katrin Kroll, Head of People and Culture bei Orderbird, stellt nach einem Jahr Arbeiten auf Distanz fest, dass vor allem Mitarbeitende, die schon länger im Unternehmen arbeiten, von sich aus wechselwilliger sind: „Alte Hasen im Unternehmen vermissen, wie es vor der Pandemie war. Neue Mitarbeitende hingegen kennen diesen sozialen Zusammenhalt bei uns nicht und trauern somit auch keinem Normalzustand hinterher. Für sie ist es oft einfacher, sich auf die Situation einzulassen“. 

Tatsächlich ist es so, dass Unternehmen in den letzten Jahren viel in den sozialen Zusammenhalt investiert haben. Über Sommerfeste und Weihnachtsfeiern hinaus wurden gemeinsame Mittagessen, Mentorenprogramme und aufwendige Onboardings organisiert. Alles Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung, die auf sozialen Gefügen basieren, die aktuell bis hin zur Unkenntlichkeit digitalisiert werden.

Es lässt sich nicht alles ins Digitale übersetzen

Katrin berichtet beispielsweise vom gemeinsamen Frühstück bei Orderbird, was vor der Pandemie jeden Mittwoch in der großen Büroküche stattgefunden hat. „Anfangs haben wir versucht das Frühstück zu digitalisieren. Kolleg:innen haben sich in kleinen Gruppen zusammengefunden und online gemeinsam gefrühstückt. Es werden sogar Präsentkörbe für das beste Frühstücksfoto verlost“. Relativ schnell habe die Teilnahmequote jedoch abgenommen, sodass sich immer wieder neue Aktionen überlegt werden, wie die Mitarbeitenden aktiviert werden können. Manche soziale Events lassen sich eben besser in die digitale Welt übersetzen als andere. Doch ist das der Grund dafür, dass Mitarbeitende auf eigenen Wunsch Unternehmen verlassen? 

Gelebte Firmenkultur dürfte aktuell nirgends so sein wie gewohnt. Katrin hat dazu folgende These aufgestellt: „Ich glaube, dass Mitarbeiterloyalität in der Home Office Zeit stark abfallen kann. Wenn man früher im Job gestresst war, hat man sich zum Feierabend mit einem Getränk auf unsere Dachterrasse gesetzt und konnte sich mit seinen Kolleg:innen austauschen und ist mit einem guten Gefühl nach Hause gegangen. Heute klappt man oft ohne diesen informellen Austausch den Laptop zu und hat keine Möglichkeit weniger gereizt in den Feierabend zu starten. Wenn sich diese Frustration summiert, wird es kritisch für die Mitarbeiter:innenbindung.”

Am effektivsten investieren Unternehmen in Mitarbeiter:innenbindung, die genau zu ihnen passt. Hier gibt es wie immer keine Blaupause oder one size fits all Lösung. Jedes Unternehmen muss für sich passende Lösungen finden, denn nur so kann es sicher stellen, dass hochqualifizierte und wechselwillige Mitarbeiter:innen sich aktiv dazu entscheiden zu bleiben. 

Drei Maßnahmen, um Ursachen für Kündigung herauszufinden

Was aber für jede Organisation gilt: Sie muss an geeigneten Stellen auf Ursachenforschung gehen. Warum gehen Mitarbeiter:innen und wie schätzen sie das Unternehmen ein? Die Antworten darauf können entscheidende Erkenntnisse bringen. 

Exit Interviews

Ein Exit Interview ist ein offenes Gespräch mit dem scheidenden Mitarbeitenden in den letzten Arbeitstagen. Es gibt Raum für wertvolles Feedback für das Unternehmen, denn an diesem Punkt haben Mitarbeitende selten einen Grund, ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Unternehmen sollten dieses Gespräch dazu nutzen, um den Finger in die Wunde zu legen und Informationen und Kritik einzusammeln. Ähnlich wie in einem Jobinterview kann hier ein vorher entworfener Fragebogen abgearbeitet werden oder das Gespräch findet unstrukturiert statt. Ersteres ist zu empfehlen, denn so wird Vergleichbarkeit erreicht. Das Gespräch sollte nicht mit der direkten Führungskraft, sondern mit jemandem aus der Personalabteilung oder einer Führungskraft der Ebene darüber stattfinden. Wichtig: Das Gespräch sollte wirklich mit allen scheidenden Mitarbeitenden stattfinden, egal ob Werkstudent:in, Abteilungsleitung, ob selbst gekündigt oder nicht. 

Regelmäßige Mitarbeiterumfragen

Bevor es überhaupt zur Kündigung kommt, sollten Mitarbeitende um Feedback zum Unternehmen befragt werden. Bei Mitarbeiterumfragen geht es nicht, wie oft gedacht, um Mitarbeiterzufriedenheit, sondern vielmehr darum, wie das Team das Unternehmen in bestimmten Bereichen einschätzt. Abgefragte Bereiche können Entwicklungsmöglichkeiten, Arbeitsaufgaben, Teamstimmung, Krisenmanagement, Geschäftsmodell und Diversität sein, um nur einige zu nennen. Es gibt eine Reihe an Softwarelösungen, die teilweise bereits Vergleiche aus ähnlichen Branchen mitbringen und tolle Reportingmöglichkeiten liefern. Für den Anfang und besonders bei kleineren Unternehmen geht es aber auch mit einer anonymen Google Umfrage. Wichtig ist, dass die Ergebnisse der Umfrage anschließend mit der Belegschaft geteilt und transparent ausgewertet werden. Und: Wer fragt, muss auch mit der Antwort arbeiten können. Stellt sich bei der Umfrage beispielsweise heraus, dass ein Großteil der Belegschaft nicht mit den aktuellen Entwicklungsmöglichkeiten in ihren Rollen zufrieden ist, sollten hier weitere Nachforschungen betrieben und Lösungen angeboten werden. Insbesondere, weil es sich hierbei um einen häufig genannten Kündigungsgrund handelt (s.o.).

Intensives Onboarding

Gerade in Zeiten, in denen die natürliche Nähe zum Unternehmen nur schwer durch soziale Events zu schaffen ist, rückt die Wichtigkeit des Onboardings ins Zentrum. Damit neue Mitarbeitende gut ankommen und sich nicht schnell wieder verabschieden, weil ihnen das neue Unternehmen zu fremd ist, lautet hier die Devise „Viel hilft viel“. Ein hohes Maß an Kommunikation und vielen geplanten virtuellen Check ins sind beim Arbeiten auf Distanz unerlässlich. Hinzu kommt das Erwartungsmanagement. Herauszufinden, warum die neuen Mitarbeitenden ihr altes Unternehmen verlassen haben und was sie sich nun versprechen, kann für eine lange und gesunde Mitarbeiter:innenbindung sorgen und gibt in jedem Fall Einblick in das Wertemodell der Belegschaft.

Mitarbeiterumfragen sind keine Zufriedenheitsumfragen

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In meinem Artikel zum Thema Jobwechsel in Zeiten von Corona, appelliere ich unter anderem an Mitarbeiterumfragen. Sie geben einen Einblick, wie Mitarbeitende das Unternehmen einschätzen und wie engagiert sie sind. Ihren Ursprung hat die Mitarbeiterumfrage in der sogenannten Engagement Survey, die umgangssprachlich oft “Zufriedenheitsumfrage” genannt wird. Warum dies nicht nur missverständlich, sondern sogar problematisch ist, erkläre ich im Folgenden.

Gerade in der aktuellen Situation stellen viele Unternehmen kurze Impulsumfragen zum Themen wie Home Office, mentale Gesundheit oder bitten um Feedback zum Umgang mit Corona im Unternehmen. Alle das wird in die Schublade “Mitarbeiterumfrage” gesteckt. Doch ein Stimmungsbild ist nicht gleichbedeutend mit einer umfangreichen Mitarbeiterumfrage, einer sogenannten Engagement-Umfrage.

In der “Mitarbeiter Engagement Umfrage” geht es darum, Mitarbeitende zu verschiedensten Themen im Unternehmen zu befragen und ihre Einschätzung zu erhalten. Eine solche Umfrage wird mindestens einmal im Jahr, jedoch nicht öfter als alle 6 Monate abgehalten. Besonders die Vor- und Nachbereitung benötigt entsprechend viel Aufmerksamkeit und Zeit. Insbesondere die Analyse der Ergebnisse und die Kommunikation mit Team und Führungskräften nimmt Ressourcen in Anspruch. Im Ergebnis werden dann Action Points entwickelt, die das Unternehmen, gerne auch in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden, umsetzt. Erst wenn diese Action Points umgesetzt wurden, macht es auch Sinn eine weitere Umfrage zu starten, da ansonsten wahrscheinlich keine Verbesserung in den neuen Ergebnissen abzulesen ist.

Mitarbeiterumfragen: Die Bedeutung des Engagement 

Das Mitarbeiter-Engagement beschreibt, wie motiviert Mitarbeitende sind, einen Extra-Einsatz zu leisten und wie sehr sie sich ihrem Unternehmen verbunden fühlen. Natürlich spielt allgemeine Zufriedenheit mit dem Unternehmen und der eigenen Rolle hier mit rein, im Kern geht es aber darüber hinaus. Mitarbeiter-Engagement ist vielmehr ein Ergebnis, das sich aus mehreren Faktoren zusammensetzt. Auch Mitarbeitende, die mit der ein oder anderen Sache unzufrieden sind, können trotzdem engagiert sein und sich für das Unternehmen einsetzen wollen.

Gut gemachte Mitarbeiter-Engagement-Umfragen beinhalten deswegen eine große Anzahl von teilweise ähnlichen Fragen (zwischen 40 und 60), die verschiedene Kategorien abdecken. Dies sind typischerweise Führung, Entwicklung, Selbstständigkeit und Rollenverständnis. Es können aber auch Fragen zum Umgang des Unternehmens mit besonderen Situationen wie aktuell Covid-19 gestellt werden.

Der wohl bekannteste Index zur Messung von Mitarbeiter Engagement ist der sogenannte Net Promoter Score. Hier wird gefragt, ob Mitarbeitende das Unternehmen an Freunde und Bekannte weiterempfehlen würden. Erzielt ein Unternehmen hier ein positives Ergebnis, ist das eine gute Erkenntnis. Es benötigt aber weitere Fragen im Laufe der Umfrage, um herauszufinden, welche Bereiche genau Mitarbeitende so engagiert macht und welche sie lediglich zufrieden stellen (beispielsweise Gehalt, Arbeitszeiten, Mitarbeitervorteile).

Mitarbeiterbefragung: Wer fragt, muss auch Antworten liefern

Bei Umfragen jeglicher Art gilt: Wer fragt, muss auch Antworten liefern. Dies ist unter anderem der Grund, warum die Suche nach Engagement praktikabler ist als nach Zufriedenheit. 

In einer Zufriedenheitsumfrage würden Faktoren bewertet, von denen das Unternehmen ausgeht, dass sie die Zufriedenheit der Mitarbeitenden beeinflusst. Bei einer Engagementumfrage hingegen werden mehrere Fragen zu einer Kategorie gestellt. Dies hat den Vorteil, dass wir ein differenzierteres Bild der Antworten bekommen und der Fokus nicht zu sehr auf UNzufriedenheit liegt.

Mitarbeiterbefragung: Auf die richtigen Formulierungen achten

Werden Mitarbeitende beispielsweise gefragt, ob sie “zufrieden mit ihrer aktuellen Vergütung” sind, wird die Antwort in den meisten Fällen eher negativ ausfallen, weil sich jede:r gern gehaltlich verbessern möchte. Wird zusätzlich aber auch gefragt, ob sich die Mitarbeitenden zukünftig weiterhin bei dem Unternehmen sehen und genügend Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten haben, dann relativiert dies das Gewicht vom Faktor Gehalt. Beispielsweise, weil gute Aufstiegsmöglichkeiten in der Regel auch eine gehaltliche Entwicklung beinhalten. Hier wird deutlich, dass das Gehen der Extrameile (Engagement) von mehr als nur einem Zufriedenheitsfaktor abhängt. Fallen die Ergebnisse in der gesamten Kategorie jedoch eher negativ aus, hat das Unternehmen einen wichtigen Indikator und viele Stellschrauben gefunden, um beispielsweise das Thema Fluktuation anzugehen.

Wie immer ist es bei einer Mitarbeiterumfrage wichtig, das Ziel vor Augen zu haben. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Unternehmen eine Umfrage mit dem Ergbenis durchführt, dass es keinen Verbesserungsbedarf gibt. In diesem Fall wurden entweder nicht die richtigen Fragen gestellt oder die Mitarbeitenden fühlen sich im gegebenen Rahmen nicht sicher genug, um Kritik zu äußern. Professionelle Unterstützung durch erfahrene Personaler:innen und ein durchdachtes Tool lohnt sich, denn Mitarbeiterumfragen sind eine tolle Quelle für Erkenntnisse. Die Ergebnisse sind jedoch nur wertvoll, wenn die Führungsriege sich diesen ernsthaft annimmt und sichtbare Veränderungen erzielt. 

#3 Gesundheit

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Krank sein, krank melden, kranke Kinder betreuen müssen, über Krankheit sprechen – das alles ist im Arbeitskontext mit großer Unsicherheit und oft auch Scham verbunden.

Krankheit verstecken zu müssen, um weiterhin unbezwingbar und leistungsfähig zu erscheinen, ist aber alles andere als ein Garant für schnelle Genesung. Mitarbeitende werden dadurch nur noch mehr geschwächt – vor allem mental. Dem ist entgegenzuwirken – allein deshalb, weil sich die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Probleme seit 2007 ohnehin schon mehr als verdoppelt hat.

Und genau deshalb dreht sich die kommenden Ausgabe unseres Online-Magazins um das Fokusthema (mentale) Gesundheit.

Alle Artikel der Ausgabe #3

  • Bluewashing auf Kosten der Gesundheit – nein danke!
    Bluewashing ist der falsche Weg, sein Unternehmen für Bewerber:innen attraktiver zu machen. Wir wünschen uns, dass Unternehmen halten, was sie Mitarbeitenden versprechen.
  • Mentale Gesundheit von Mitarbeitenden fördern (1/3): Mittwald
    Rebecka Karsten, Personalerin bei Mittwald, erklärt wie der Kommunikationskanal Slack die Gesundheitsförderung unterstützt und wie betriebliche Maßnahmen sich durch private Initiativen ergänzen
  • Die eigenen Bedürfnisse erkennen: Eine Checkliste
    Gespräche mit Mitarbeiter:innen sind eine hervorragende Gelegenheit, um über das Thema Mentale Gesundheit zu sprechen. Wie finde ich als Führungskraft also heraus, was genau Gegenüber braucht? Und wie helfe ich ihm:ihr dabei, sich die eigenen Bedürfnisse überhaupt bewusst zu machen?
  • Wie Eltern pflegebedürftiger Kinder gut arbeiten können
    Wenn ein Kind (chronisch) krank ist oder eine Behinderung hat und Pflege braucht, sind berufstätige Eltern stark beansprucht. Arbeitgeber:innen und Politik können unterstützen. Wie, das beschreibt Stephanie Poggemöller, Mutter zweier Kinder, von denen eines pflegebedürftig ist.
  • Warum hören wir oft zu spät auf unseren Körper?
    Körperliche Warnsignale werden oft ignoriert und es ist eine Herausforderung auf sie zu hören. Doch wenn sich plötzlich ein neuer kleiner Erdenbürger ankündigt, sieht das ganz anders aus. Warum eigentlich erst dann?
  • Kranke Arbeitnehmer:innen: Ein arbeitsrechtlicher Überblick
    Kranke Arbeitnehmer:innen stellen für Unternehmen eine große organisatorische und finanzielle Herausforderung dar. Wir zeigen, was von Arbeitgeber:innen verlangt wird und wann eine Krankheit einen Kündigungsgrund darstellt
  • Mentale Gesundheit von Mitarbeitenden fördern (2/3): hand-werk zwei
    Mentale Gesundheit ist im männlich geprägten Handwerk selten ein Thema. Komisch, findet Nicole Karger, Geschäftsführerin eines Dortmunder Malerhandwerksbetrieb. Sie tut eine Menge, damit ihre Team Stress gut bewältigen kann.
  • Weniger Pendelstress nach Corona?
    Corona fordert uns und unser Nervenkostüm nach wie vor bis an die Grenzen. In mindestens einem Punkt könnte die Pandemie unsere Arbeitswelt allerdings langfristig in eine gesünderer Richtung verändern – im Bereich der Mobilität. Denn: Es wird weniger gependelt.
  • Mentale Gesundheit von Mitarbeitenden fördern (3/3): Blinkist
    Zusammen mit einer Beratungsagentur für psychische Gesundheit will das agile Unternehmen Blinkist die Stressbelastung von Mitarbeitenden minimieren.