Blick in die Praxis, Magazinausgabe #3, Struktur & Kultur
Kommentare 2

Mentale Gesundheit von Mitarbeitenden fördern (3/3): Blinkist

durchschnittliche Lesedauer 3 Minuten

Unsere Arbeitswelt ist schnell geworden. So schnell, dass der Geist von Arbeitnehmer:innen oft hilflos hinterherstolpert. Psychische Erkrankungen sind inzwischen die zweithäufigste Diagnosegruppe bei Krankschreibungen und Arbeitsunfähigkeit. Dass die mentale Gesunderhaltung von Mitarbeiter:innen eine wichtige Managementaufgabe ist, liegt auf der Hand. Gesetzlich vorgeschrieben ist sie ohnehin. Aber was können Unternehmen konkret tun? Und lassen sich Mitarbeiter:innen überhaupt auf die Auseinandersetzung mit ihrer psychischen Gesundheit ein? Ich habe in verschiedenen Unternehmen nach Antworten gesucht – unter anderem bei Blinkist.

Bei Blinkist sei es kein Problem, sogenannte “mental health days” zu nutzen, berichtet mir Vilma Ala-Tuuhonen vom People Developement Team. „Es ist okay, wenn jemand sagt, dass er:sie gerade eine Pause braucht.“ Und auch sonst klingt erst einmal alles beim Berliner App-Unternehmen nach einem Umfeld, das Mitarbeitende gesund erhält: Teams, die sich zum digitalen Brettspielen verabreden, Meditationsangebote, eine vegane Kantine mit kostenlosem Essen, Getting-things-done-Workshops… Kann da noch was schiefgehen?

Oh ja, wie sich im vergangenen Jahr offenbarte. Bei Blinkist passierte pandemiebedingt das, was viele Organisationen 2020 erlebten: Plötzlich wurde auch am Arbeitsplatz über psychische Belastungen gesprochen. „Bei uns ist das Thema Mental Health durch Covid erstmals so richtig hochgekommen“, erinnert sich Vilma Ala-Tuuhonen. Und es zeigte sich, dass die Teams deutlich überlasteter waren als gedacht.

Gesundheitsförderung im Unternehmen: Mitarbeiter:innen befragen

Blinkist nahm diese Entwicklung sofort sehr ernst und bildete zwei Arbeitsgruppen mit insgesamt sechs Personen („Learning & Development Team“), um herauszufinden, welche unterstützenden Maßnahmen für die Teams sinnvoll sein könnten und wie sich diese in die Organisationsstruktur aufnehmen lassen. Als erstes wurde der Fragenkatalog der dreimal im Jahr unternehmensweit verteilten Umfrage angepasst. Dort fehlte das Thema Mentale Gesundheit bislang vollständig. Die erste Auswertung war dann erschreckend eindeutig. 

„Es war klar: Shit, wir haben da ein Problem.“ 

Vilma Ala-Tuuhonen: 

Von „Shit, wir haben da ein Problem“ führte die Überlegung, wie man der Situation begegnen kann, schnell zu Deutschlands erster Agentur für psychische Gesundheit, deren Name passender nicht sein könnte: SHITSHOW. Die Berliner Beratungsagentur befähigt Organisationen, ihre Struktur und Kultur psychisch gesund zu gestalten und ihre Mitarbeitenden für Mental Health zu begeistern. Dafür hat sie eine Reihe an Workshopformaten entwickelt. 

Mit Blinkist setzte SHITSHOW zunächst eine tiefgreifende Learning-Journey zum Thema Stress-Management um. „Bei unserer ergänzenden Trainingsreihe setzen wir den Fokus nun darauf, vom Wissen wirklich auch ins Handeln zu kommen“, skizziert Nele Groeger von SHITSHOW die derzeitige Zusammenarbeit. „Das Learning & Development Team von Blinkist hat in diesem Zusammenhang wichtige Impulse gegeben und eine große Bereitschaft gezeigt, die Situation für ihre Mitarbeiter:innen zu verbessern. Das ist natürlich die beste Grundlage für solch einen Prozess.“

Ξ Gastbeitrag SHITSHOW: In unserer ersten Magazinausgabe hat SHITSHOW  erklärt, worauf bei „Check-Ins“ zu achten ist. 

Und trotzdem hätte es immer mal wieder Momente gegeben, in denen die Maßnahmen von Mitarbeitenden nicht positiv aufgenommen wurden, erzählt Vilma Ala-Tuuhonen ohne Frust. Wie Rebecka Karsten von Mittwald ist auch sie sich bewusst darüber, dass Menschen und Teams viel zu unterschiedlich sind, als dass eine Maßnahme für alle den gleichen Nutzen hätte. “Wichtig ist daher, den Mitarbeitenden glaubwürdig zu vermitteln, dass keine Maßnahme als Allheilmittel gedacht sei. „Es muss von uns beispielsweise klar kommuniziert werden, dass mit einem SHITSHOW-Seminar nicht sofort alles gelöst ist, sondern dass wir solch eine Maßnahme nur als Teil der Lösung verstehen.“

Gesundheitsförderung im Unternehmen: Realistisches Arbeitspensum ermitteln

Außerdem gäbe es auch Zeitpunkte, in denen solche Angebote zu spät kämen. „Wenn jemand schon stark über seine Grenzen gegangen ist, kann man von der Person nicht mehr erwarten, dass sie sich noch mit dem eigenen Stressmanagement auseinandersetzt.“ Genau deshalb nimmt Blinkist derzeit auch die Arbeitsbelastung der einzelnen Teams genauer unter die Lupe. Gerade 2020 seien überdurchschnittlich viele Überstunden aufgelaufen und es gäbe Teams, deren Aufgabenvolumen so hoch sei, dass es den Mitgliedern gar nicht mehr gelänge, das mit freien Tagen wieder auszugleichen. 

„Das wollen wir natürlich so nicht“, sagt Vilma Ala-Tuuhonen. „Genau deshalb arbeiten wir ja eigentlich in zweiwöchigen Sprints, die einen klaren Fokus ermöglichen. Das heißt, wir arbeiten in dieser Zeit ausschließlich an einer definierten Sache und nehmen in dieser Zeit nichts anderes an Todos an. Aber es sieht danach aus, als hätten wir das spätestens in der Corona-Pandemie durch das Arbeiten im Home Office nicht so gut geschafft. Umso glücklicher können wir sein, dass wir das Thema Mentale Gesundheit so schnell auf die Agenda gesetzt und mit externer Unterstützung vorangetrieben haben. Durch die Umfrage und die ersten Seminare mit SHITSHOW haben wir das grundlegende Problem erkannt und es inzwischen auch bei allem Mitarbeiter:innen sichtbar gemacht.“

Gesundheitsförderung im Unternehmen: Corona verlangt Umdenken

Am Ende seien sie aber noch lange nicht, ganz im Gegenteil. „Für uns ist klar, dass wir langfristig nicht wieder arbeiten wollen wir vor Corona. Wir wollen ein Hybridsystem aus Officekultur und Remotekultur bauen. Und beides zusammen soll die mentale Gesundheit unterstützen statt schwächen. Um das zu erreichen haben wir daher noch viel zu tun in nächster Zeit.“ 

Auch konkrete Wünsche der Mitarbeiter:innen gelte es noch auf Umsetzbarkeit zu prüfen. „Viele haben sich Sportkurse gewünscht. Auch ein unternehmensinterner Ansprechpartner bzw. eine Ansprechpartnerin für psychische  Anliegen kam als Idee.“ Zwei Vorschläge konnten bereits umgesetzt werden: die Mitarbeiter:innen von Blinkist haben Ende 2020 einen finanziellen Bonus fürs Homeoffice sowie ein mit Guthaben gefülltes Konto bei einem Essenslieferdienst bekommen.


Ersten und zweiten Teil der Artikelserie lesen:

Teil 1: Wie der Kommunikationskanal Slack bei Mittwald die Gesundheitsförderung unterstützt

Teil 2: Wie die Geschäftsführerin eines Malerbetriebs mehr Achtsamkeit ins Handwerk bringt

Kategorie: Blick in die Praxis, Magazinausgabe #3, Struktur & Kultur

von

Eltern können keine verantwortungsvolle Position ausüben und gleichzeitig ihr Familienleben jongliere? „Von wegen!” meint Sandra. Wenn Unternehmen entsprechende Rahmenbedingungen bieten, klappt das ihrer Ansicht nach ganz wunderbar. Bei nine to life macht die Bremer Kommunikationsexpertin Bedürfnisse berufstätiger Eltern sichtbar, gibt Gedankenanstöße, wie Organisationen ihren Arbeitsalltag familienfreundlicher gestalten können, und widmet sich dem Thema Mentaler Gesundheit. Außerdem verantwortet sie die Projektkommunikation. LinkedIn | Instagram | Website

2 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert