Führung, Gastbeiträge, Magazinausgabe #4
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Führen auf Distanz als Chance für echte Nähe

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Das vermehrte Führen auf räumliche Distanz bringt nicht nur neue Herausforderungen mit sich, sondern birgt gleichzeitig eine große Chance für die Beziehung zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitenden: Es bringt Führungskräfte in die Situation, sich mit dem Schaffen echter Nähe zu ihren Mitarbeitenden auseinanderzusetzen. Was bedeutet das und wie kann dies gelingen? Antworten sowie Einblicke in den DB Konzern von Gastautorin Marie Meininger.

Dass das Führen virtueller Teams auf räumliche Entfernung immer mehr an Bedeutung gewinnen würde, hatte sich bereits deutlich vor Beginn der Corona-Pandemie durch globale Zusammenarbeit oder mehr Selbstbestimmung in den Arbeitsbedingungen abgezeichnet. Im letzten Jahr hat das Thema aus bekannten Gründen einen rasanten Aufschwung erfahren. Über Nacht stampften Personalentwicklungsabteilungen Trainings, Leitfäden und Checklisten aus dem Boden, um ihre Führungskräfte in der neuen Rolle und den damit einhergehenden Herausforderungen zu unterstützen. 

Trügerische Nähe im analogen Raum

Mittlerweile sind wohl die meisten von uns im Arbeitsalltag auf Distanz angekommen. Wir haben sämtliche versteckten Funktionen unseres Chat- und Kommunikationstools entdeckt, unsere Online-Workshops bis ins letzte Detail optimiert und sogar unsere gemeinsamen Mittagspausen in den virtuellen Raum verlegt. Dennoch haben Führungskräfte teilweise noch immer die Befürchtung, nicht nah genug an ihren Mitarbeitenden dran zu sein. Im besten Fall aus Sorge, ihre Probleme und Sorgen nicht rechtzeitig zu erkennen. Im schlechtesten Fall aus Angst, deren Produktivität nicht ausreichend kontrollieren zu können.

Ξ Vertrauen vs. Kontrolle: Über die Frage, wieviel Kontrolle Führen auf Distanz braucht, hat sich Doris Ipsen in dieser Ausgabe gedanken gemacht.

Dort, wo sonst persönliche Begegnungen im Büro, in der Kaffeeküche oder im analogen Meeting eine scheinbare Nähe suggerierten, wirkt es in der virtuellen Zusammenarbeit teilweise schwieriger und aufwändiger in den Austausch zu kommen und den Kontakt nicht zu verlieren. 

Echte Nähe auch auf Distanz

Tatsächlich aber entsteht echte, emotionale Nähe nicht durch räumliche Präsenz, sondern durch wahrhaftiges Interesse an den Mitarbeitenden, durch ehrlichen und wertschätzenden Austausch und durch einen menschen- und stärkenorientierten Fokus in der Zusammenarbeit. All diese Aspekte gelten für den analogen und virtuellen Raum in gleicher Weise. Durch den Wegfall der symbolischen räumlichen Nähe in der Präsenzarbeit wird nun die Frage nach dieser echten Nähe stärker sichtbar, was gleichzeitig eine Chance für die Qualität unserer Arbeitsbeziehungen bedeuten kann. Verschiedene Denkweisen und Instrumente können uns dabei helfen, diese echte Nähe auch im virtuellen Raum herzustellen und zu fördern.

Führung auf Distanz im DB-Konzern

Im DB-Konzern wird nicht erst seit den aktuellen Entwicklungen in der Praxis auf Distanz geführt. Als bundesweit und teilweise sogar global aufgestellte Organisation arbeiten Teams an unterschiedlichen Standorten zusammen. Viele unserer Mitarbeitenden arbeiten außerdem im Schichtbetrieb und treffen ihre Führungskräfte nur in unregelmäßigen Abständen persönlich. Anfang des Jahres haben wir daher ein digitales Feedback- und Beurteilungstool konzernweit implementiert, welches es ermöglicht, sich losgelöst von analoger Begegnung wertschätzende Rückmeldungen auf allen Ebenen zu geben. Damit ist der Grundstein und die strukturelle Voraussetzung für niederschwelligen Kontakt auch auf Distanz gelegt, welcher eine Kultur der Sichtbarkeit und Wertschätzung individueller Stärken und Leistungen unserer Mitarbeitenden fördert.

Natürlich bieten auch wir Trainings und Seminare zum Führen auf Distanz an. Diese bilden eine Ergänzung zu unseren zentralen Kulturhebeln: dem Kompass für ein starkes Miteinander sowie unserem DB Rollenmodell. In diesen Orientierungsinstrumenten für Führungskräfte und Mitarbeitende haben wir Werte und Prinzipien unserer Zusammenarbeit festgelegt, die unter anderem auch die Wichtigkeit des wertschätzenden und auf den individuellen Mitarbeitenden ausgerichteten Dialogs betonen.

Auch wir stehen wie andere Unternehmen vor der Herausforderung, diese Instrumente tatsächlich durch unsere Führungskräfte und Mitarbeitenden in der gesamten Organisation zur Anwendung zu bringen und in den Bereichen zu verankern. Wir sind noch längst nicht am Ziel, arbeiten aber jeden Tag schrittweise daran. Dies tun wir unter anderem, indem breit aufgestellte Communitys die Themen von unten in die Organisation tragen, indem wir bereits bei Stellenbesetzungsverfahren auf die entsprechenden Werte achten und indem wir vielseitige Partizipations-, Netzwerk- und Austauschformate anbieten, um unsere Prinzipien noch sichtbarer zu machen und die Haltungen in der Organisation grundlegend zu verfestigen.

Drei Hinweise zum Nachdenken und zur praktischen Umsetzung

  • Echtes Interesse

Obwohl dieser Hinweis der wohl am einfachsten umzusetzende und extrem logisch erscheint, so zeigt die Arbeitsrealität häufig noch das Gegenteil. Immer wieder höre ich von Mitarbeitenden, dass sie sich nicht als Mensch wahrgenommen fühlen, dass es kein wirkliches Interesse an ihnen als Person gäbe und dass nicht auf ihre Bedürfnisse eingegangen werde. Wir Menschen allerdings sind kleine Narzissten: Wir mögen es, gelobt zu werden und Interesse an uns und unserer Arbeit zu erfahren und dadurch gesehen zu werden. So verstärkt sich der Sinn unserer Existenz und unseres Tuns.

Für die Führungskraft bedeutet das konkret: eine Chatnachricht oder ein Anruf nach den Terminen oder mal zwischendurch. „Du warst so still heute im Call, ist alles in Ordnung?“ oder: „Du hast etwas reserviert reagiert auf meinen Arbeitsauftrag, vielleicht hat es nur so gewirkt, sollen wir da nochmal drüber sprechen?“ Ja, das bedeutet Mehraufwand und ja, die meisten Führungskräfte leiden nicht an Langeweile. Dennoch: Auch nur kleine Zeichen von wahrem Interesse können sehr viel bewirken und sich langfristig durch zufriedene, produktive und loyale Mitarbeitende auszahlen.

  • Organisierter freier Austausch

Durch den Wegfall zufälliger Gesprächsmöglichkeiten auf dem Gang oder beim gemeinsamen Mittagessen rückt der Stellenwert organisierten freien Austauschs in den Vordergrund. Für die Führungskraft bedeutet das, dass es Sinn machen kann neben den regelmäßigen Team-Meetings wie Stand-Up oder Team-Jour Fixes auch einen wöchentlichen Einzeltermin unter vier Augen mit allen Mitarbeitenden einzustellen. 

Manchmal können 15 Minuten schon ausreichen, um Entscheidungen zu treffen oder einen unterstützenden Impuls zu setzen. Selbst, wenn es einmal nichts zu klären gibt, so bekommt die Führungskraft dennoch in diesem Zeitfenster die Möglichkeit, die aktuelle Stimmung des:r Mitarbeitenden einzufangen. Darüber hinaus können virtuelle gemeinsame Mittagspausen, Spaziergänge oder übergreifende Netzwerkformate im Unternehmen, den freien Austausch in Zeiten räumlich distanzierter Zusammenarbeit verstärken. Falls die Rahmenbedingungen es erlauben, sollten regelmäßige reale Treffen nicht in Gänze außen vor gelassen werden, da diese nach wie vor bestimmte Emotionen und Themen besser vermitteln und herstellen können als der virtuelle Raum.

  • Please Mister Postman

Ob man es nun als Effekthascherei bewerten möchte oder nicht. Wir bekommen gerne schöne Post. In Zeiten des verstärkten Home-Office ist sie an manchen Tagen der einzige Kontakt zur unserer analogen Außenwelt. Unternehmen nutzen das bereits und senden ihren Mitarbeitenden kleine Goodies zur Weihnachtsfeier oder einfach mal zwischendurch. Je persönlicher und durchdachter die postalische Überraschung, desto positiver die Wirkung beim Mitarbeitenden. Es sollte selbstverständlich sein, dass – ähnlich dem beliebten Tischkicker im Büro – eine postalische Aufmerksamkeit keine regelmäßigen Gespräche zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden ersetzen kann.


Autorin Marie Meininger

Marie treibt den kulturellen Wandel bei der Deutschen Bahn AG für ein starkes Miteinander voran. Als studierte Personalentwicklerin und HR Business Partnerin mit Schwerpunkten auf Führungskräfteentwicklung und Change hat sie vielseitige Stationen im HR unter anderem für Start-Ups sowie im öffentlichen Dienst durchlaufen. Darüber hinaus berät sie Organisationen in HR- und Entwicklungsfragen.

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