Wenn ein Kind (chronisch) krank ist oder eine Behinderung hat und Pflege braucht, ist der Berufs- und Familienalltag berufstätiger Eltern stark beansprucht. Die Belastungen, die sich aus chronischen Krankheiten und Beeinträchtigungen ergeben, sind erheblich. Gleichzeitig können sie mit günstigen Rahmenbedingungen durch Arbeitgeber und Politik aufgefangen werden. Wie, das beschreibt Stephanie Poggemöller, Mutter zweier Kinder, von denen eines pflegebedürftig ist, in diesem Gastbeitrag.
Der Bedarf an Vereinbarkeitsmaßnahmen, die den oben genannten gesundheitlichen Aspekten Rechnung tragen ist da. Nach Angaben des Berufsverbands für Kinder- und Jugendärzte hat jedes sechste Kind und jeder vierte Jugendliche eine chronische Grunderkrankung (z.B. Asthma, chronische Darmentzündungen, Rheuma, Epilepsien und Krebs).
Darüber hinaus sind derzeit 130.000 Kinder schwerbehindert und ca. 75.000 Kinder unter 15 Jahren pflegebedürftig, zu letzteren zählt auch mein Kind. Die Kinder und Jugendlichen werden zum Großteil zu Hause betreut, versorgt und gepflegt und das vorwiegend von Müttern. (99,5% lt. Pflegereport 2017)
Für viele berufstätige Eltern, die Kinder mit chronischen Erkrankungen oder Pflegebedarf haben, ist es wichtig, weiterhin im Beruf zu sein. Finanzielle Aspekte spielen dabei eine ebenso große Rolle wie sozialer Austausch und der Erhalt beruflicher Kompetenzen. Auch Selbstverwirklichungsmöglichkeiten sowie die Möglichkeit im Berufsalltag Abstand von den familiären An- und Herausforderungen zu bekommen, sprechen für die Erwerbsarbeit. Denn Care-Arbeit für (chronisch) erkrankte oder beeinträchtigte Kinder ist eine Aufgabe, die viel Zeit und erheblich Kraft erfordert. Alles Gründe, sich als familienfreundliches Unternehmen die Frage zu stellen, wie die Mitarbeitenden in diesen Lebenslagen entlastet werden können.
Unternehmen haben Stellschrauben, um Mitarbeitende in besonderen Lebenslagen zu unterstützen
Die meist zeitintensive, körperlich und vor allem psychisch aufwendige Betreuung (chronisch) kranker oder beeinträchtigter Kinder kann mit den beruflichen Anforderungen in Einklang gebracht werden. Dies ist umsetzbar, wenn Arbeitgebende ihren Beschäftigten mit Verständnis, einer vorurteilsfreien familienfreundlichen Organisationskultur und entsprechenden Rahmenbedingungen zur Seite stehen. Welche Möglichkeiten gibt es nun konkret?
1. Führungskräfte sensibilisieren
Eine wichtige Voraussetzung für Eltern mit anspruchsvollen Lebenssituationen ist die Unterstützung durch Führungskräfte. Sie sind darin gefragt, Vorbild und Multiplikator zu sein sowie Barrieren abzubauen. In speziellen Weiterbildungen können Führungskräfte für diese Themen und den Umgang damit sensibilisiert werden. Denn Eltern in besonderen Lebenslagen sehen sich dauerhaft enormen Beanspruchungen im Alltag gegenüber.
Sie sind konfrontiert mit Einschränkungen in der Freizeitgestaltung oder Mobilität, mit Therapien, Anträgen, Behördengängen, Arztbesuchen sowie sozialen und mentalen Mehrbelastungen. Vorgesetzte sollten daher in speziellen Schulungen Anregungen bekommen, wie sie Arbeitsbedingungen schaffen können, unter denen auch Fürsorge möglich ist. Beispielsweise indem sie konstruktive Teamgespräche führen und eine Kultur der Offenheit und des Verständnisses schaffen, in der sich betroffene Mitarbeiter:innen nicht scheuen, über ihre Situation zu reden. Weiterhin sollten Führungskräfte im Dialog mit den Angestellten feststellen, welcher individuelle Bedarf überhaupt besteht und wie unterstützende Maßnahmen und Angebote konkret aussehen können.
2. Arbeitsorganisation anpassen
In der Regel ist den Beschäftigten mit (chronisch) kranken oder zu pflegenden Kindern daran gelegen, ihre Tätigkeiten weiterhin zu bewältigen. Gleichzeitig kann es Phasen geben, in denen die familiären Umstände eine Entlastung erforderlich machen. Um auf solche kurzfristigen Ausfälle vorbereitet zu sein ist es wichtig, Notfallpläne zu haben und gemeinsam mit der Führungskraft für das jeweilige Team passende Vertretungsregelungen festzulegen. Daher sollten Firmen ihre Arbeitsprozesse sowie betrieblichen Abläufe (z.B. Schichtarbeit, Dienstreisen, Urlaubsplanung etc.) dahingehend bewerten und mit allen Beteiligten gemeinsame Lösungen definieren.
3. Mobiles und flexibles Arbeiten ermöglichen, wo immer es geht
Flexible Arbeitszeiten sind für berufstätige Eltern von beeinträchtigten oder (chronisch) kranken Kinder besonders wichtig und entlastend. Überstundenabbau, Teilzeit-Stellen, Arbeitszeitkonten oder Sonderurlaub bzw. bezahlte Freistellung im Notfall sind dabei genauso entlastend wie die Möglichkeit zur Gleitzeit oder unkomplizierten Reduzierung der Arbeitszeit. Auch ein Job-Tandem kann sich als hilfreiche Maßnahme erweisen, um Eltern mit einem chronisch kranken bzw. zu pflegenden Kind zu unterstützen.
Oftmals können auch die Fahrtzeiten zwischen Wohnort und Arbeitsplatz zum Stressfaktor werden. Für Entlastung sorgt, wenn die Möglichkeit geschaffen wird, Tätigkeiten aus dem Home-Office heraus zu erledigen.
4. Bezuschussung haushaltsnaher Dienstleistungen
Haushaltsnahe Dienstleistungen schaffen berufstätigen Eltern, die (chronisch) kranke oder Kinder mit Pflegebedarf haben, erhebliche Freiräume, die dann für andere Dinge zur Verfügung stehen. Somit kann eine Bezuschussung in diesem Bereich für Mitarbeitende eine echte Entlastung darstellen, da sie sich für Tätigkeiten wie Reinigung, Einkaufen, Kinderbetreuung, Fahrdienste und einfache Reparaturen Unterstützung holen können und Ressourcen für andere organisatorische Dinge frei werden.
5. Kooperationen mit sozialen Dienstleistern oder Familiendiensten
Durch Rahmenverträge mit familienunterstützenden Diensten oder anderen sozialen Dienstleistern können Unternehmen ihren Mitarbeitenden schnellen und unbürokratischen Zugang zu verlässlichen Hilfspartnern ermöglichen. Diese können Mitarbeiter:innen in besonderen Lebenslagen unterstützen und sowohl Betreuungs- als auch medizinische, finanzielle und therapeutische Beratungsleistungen anbieten. Das wiederum entlastet berufstätige Eltern mit fordernden Lebensumständen und ermöglicht ihnen, der Erwerbstätigkeit nachzukommen. Auch die eigene Personalabteilung kann unterstützen, indem sie Artikel im Intranet, Broschüren oder Leitfäden mit relevanten Informationen zur Verfügung stellt.
Vereinbarkeitsmaßnahmen für besondere Lebensumstände zahlen sich aus
Unternehmen, die Mitarbeitende in Belastungssituationen unterstützen, profitieren in vielerlei Hinsicht. Intern können diese Mitarbeiter:innen ihr Wissen an Kolleg:innen in ähnlichen Situationen weitergeben und diese bestärken. Mitarbeitende, die Unterstützung darin erfahren ihre familiäre Herausforderungen mit der Arbeit in Einklang zu bringen, sind leistungsfähiger, motivierter, loyaler und identifizieren sich mit dem:der Arbeitgeber:in, wenn diese:r sie in ihrer ganzheitlichen Lebenssituation sieht.
In Folge sinken Fluktuation, Rekrutierungs- und Einarbeitungskosten. Zudem wirkt sich eine vereinbarkeitsorientierte Personalpolitik positiv in der Wahrnehmung auf dem Arbeitsmarkt aus und führt bei der Gewinnung von Fachkräften zu Wettbewerbsvorteilen.
Stephanie Poggemöller ist Betriebswirtin, Business Coach und systemische Beraterin. Sie ist Mutter zweier Kinder, von denen eines pflegebedürftig ist. Die Gründerin von Work & Family berät Unternehmen bei der Einführung von Vereinbarkeitsmaßen und berufstätige Eltern u.a. bei Fragestellungen zur Vereinbarkeit von Familie & Beruf sowie dem Wiedereinstieg nach der Elternzeit. LinkedIn | Website | Instagram