Arbeitsrecht, Magazinausgabe #3
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Kranke Arbeitnehmer:innen: Ein arbeitsrechtlicher Überblick

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Der Krankenstand der Beschäftigten in Deutschland steigt seit einigen Jahren kontinuierlich an. Das stellt für Arbeitnehmer:innen eine organisatorische und finanzielle Herausforderung dar. Was das Gesetz von Arbeitgeber:innen verlangt, wenn Mitarbeiter:innen erkranken, und in welchen Fällen eine Krankheit zur Kündigung berechtigt, habe ich zusammengefasst. 

Was passiert im Krankheitsfall?

Im Arbeitsrecht gibt es ein ganz einfaches Prinzip: „Ohne Arbeit, kein Lohn.“ Das ergibt sich daraus, dass der Arbeitsvertrag ein Austauschvertrag ist: Wenn ein Vertragspartner (der:die Arbeitgeber:in) die Leistung des anderen – also die Arbeit –  nicht bekommt, soll dieser (der:die Arbeitnehmer:in) die Gegenleistung (die Vergütung) ebenfalls nicht erhalten. Der:die Arbeitgeber:in braucht nach diesem Grundsatz also kein Entgelt zu zahlen, wenn der:die Arbeitnehmer:in nicht arbeitsfähig ist. Dabei ist es erstmal völlig egal, ob die Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer Erkrankung oder aus anderen Gründen besteht.

Vom Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ gibt es aber zahlreiche Ausnahmen: bezahlter Erholungsurlaub, Entgeltfortzahlung an Feiertagen, Entgeltfortzahlung während der Mutterschutzfristen vor und nach einer Geburt… Das unterscheidet das Arbeitsverhältnis z.B. von der Beauftragung freier Mitarbeiter:innen, die das Honorar nur für die Zeit bekommen, in der sie auch tatsächlich ihre Leistung erbringen. 

Entgeltfortzahlungsgesetz

Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ist so ein Fall, in dem der:die Arbeitgeber:in verpflichtet ist, Lohn zu zahlen, ohne dafür eine Arbeitsleistung zu erhalten. Das Entgeltfortzahlungsgesetz sieht vor, dass Arbeitnehmer:innen, die aufgrund von Krankheit unverschuldet arbeitsunfähig sind, für die Dauer von sechs Wochen Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den:die Arbeitgeber:in haben. Wird der:die Arbeitnehmer:in dann infolge derselben Krankheit nochmal arbeitsunfähig, hat er:sie grundsätzlich keinen Anspruch darauf, nochmal Entgeltfortzahlung für sechs Wochen zu bekommen. Davon gibt es aber Ausnahmen, wenn zwischen der ersten Erkrankung und der neuen Erkrankung bestimmte Fristen liegen (dazu § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz).

Erstattung für Unternehmen mit maximal 30 Mitarbeiter:innen

Für kleine und mittelständische Unternehmen stellt der krankheitsbedingte Ausfall ihrer Arbeitnehmer:innen zusammen mit der Pflicht zur Entgeltfortzahlung eine enorme wirtschaftliche Belastung dar. Aus diesem Grund gibt es in Deutschland für Arbeitgeber:innen, die nicht mehr als 30 Arbeitnehmer:innen beschäftigen, das sog. Umlageverfahren. Dadurch bekommen kleinere Arbeitgeber:innen die Entgeltfortzahlung durch die Krankenkassen teilweise erstattet. Das Ganze ist eine Art „Entgeltfortzahlungsversicherung“, die zumindest teilweise eine finanzielle Entlastung schafft.

Krankengeld von der Krankenkasse

Nach Ablauf der sechs Wochen Entgeltfortzahlung muss der:die Arbeitgeber:in nicht mehr zahlen. Stattdessen ist der:die Arbeitnehmer:in durch das Krankengeld abgesichert. Das wird von den gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 70% des Brutto-Gehaltes, maximal jedoch 90% des Netto-Gehaltes für die Dauer von maximal 72 Wochen gezahlt. Außerdem ist das Krankengeld gedeckelt und beträgt im Jahr 2021 max. 112,88 €/Tag. 

Wann ist Krankheit ein Kündigungsgrund?

Wenn die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit einzelner Arbeitnehmer:innen das vertragliches Austauschverhältnis über die Maße belastet, hat der:die Arbeitgeber:in die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Das funktioniert – entgegen einem weit verbreiteten Irrglauben – auch während der bestehenden Erkrankung.

Findet auf das Arbeitsverhältnis das Kündigungsschutzgesetz Anwendung, weil der:die Arbeitnehmer:in länger als sechs Monate beschäftigt ist und im Betrieb in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer:innen angestellt sind, kann der:die gekündigte Arbeitnehmer:in gegen die Kündigung vor dem Arbeitsgericht klagen. Das Arbeitsgericht prüft dann im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens, ob die konkrete Kündigung aus personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt ist. 

Personenbedingte Kündigung

Eine personenbedingte Kündigung kann ausgesprochen werden, wenn der Zweck des Arbeitsvertrags aufgrund der persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten von Arbeitnehmer:innen – oder deren Fehlen – dauerhaft nicht mehr erreicht werden kann. Dabei spielt es keine Rolle, ob der*die Arbeitnehmer:in die Leistungsverhinderung verschuldet hat oder nicht. Eine personenbedingte Kündigung kann zum Beispiel erklärt werden, wenn der*die Arbeitnehmer:in keine Arbeitserlaubnis hat oder in Haft ist. Der mit Abstand häufigste Fall der personenbedingten Kündigung ist in der Praxis aber die krankheitsbedingte Kündigung.

Wichtig ist dabei, dass die personenbedingte Kündigung nicht als Sanktion für Fehlzeiten aufgrund von Erkrankungen in der Vergangenheit erklärt werden darf. Entscheidend ist, dass die Prognose ergibt, dass das Arbeitsverhältnis in Zukunft aufgrund der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit massiv gestört wird und für den:die Arbeitgeber:in daher unzumutbar ist. Es spielt für die grundsätzliche Möglichkeit einer krankheitsbedingten Kündigung erstmal keine Rolle, um was für eine Erkrankung es sich handelt. Eine krankheitsbedingte Kündigung kann also bei psychischen Erkrankungen ggf. genauso gerechtfertigt sein wie bei einem Bandscheibenvorfall oder Alkoholabhängigkeit.

Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung

Ob eine krankheitsbedingte Kündigung gerechtfertigt ist, wird anhand der folgenden drei Kriterien geprüft:

Negative Prognose

Da die Kündigung nicht als Sanktion für Fehlzeiten in der Vergangenheit erklärt werden darf, sondern dem:der Arbeitgeber:in die Möglichkeit gibt, sich vor unzumutbaren Belastungen in der Zukunft zu schützen, muss zum Zeitpunkt der Kündigung immer eine negative Prognose bzgl. der zukünftigen Ausfallzeiten bestehen. Da diese Prognose schwer zu treffen ist, haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen gebildet, bei denen der:die Arbeitgeber:in davon ausgehen darf, dass auch zukünftig erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten auftreten. Hat ein:e Arbeitnehmer:in drei Jahre in Folge jeweils mehr als 30 krankheitsbedingte Fehltage aufgrund sog. häufiger Kurzerkrankungen, darf ein:e Arbeitgeber:in nach der Ansicht der meisten Arbeitsgerichte damit rechnen, dass die krankheitsbedingten Ausfallzeiten auch in Zukunft sehr hoch sind. Bei einer Langzeiterkrankung soll nach Ansicht der Arbeitsgerichte nach rund 18 Monaten eine negative Gesundheitsprognose bestehen, wenn das Ende der Krankheit nicht absehbar ist. Das sind jedoch nur ungefähre Richtwerte, die negative Prognose wird in jedem Einzelfall überprüft. 

Erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen

Liegt die negative Gesundheitsprognose vor, muss der:die Arbeitgeber:in darlegen, dass es infolge der krankheitsbedingten Fehlzeiten zu erheblichen Beeinträchtigungen der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen kommt. Das können wirtschaftliche Belastungen durch hohe Entgeltfortzahlungskosten sein, aber auch Störungen im Produktionsablauf.

Interessenabwägung

Im letzten Schritt findet eine Interessenabwägung statt. Nur wenn die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer nicht mehr zumutbaren Belastung des Arbeitgebers führen, ist eine krankheitsbedingte Kündigung gerechtfertigt. Im Rahmen der Interessenabwägung wird berücksichtigt, ob die Krankheit auf betrieblichen Ursachen beruht, wie lange das Arbeitsverhältnis unbelastet bestand und ob der/die Arbeitgeber:in ein sog. betriebliches Eingliederungsmanagement (kurz BEM) durchgeführt oder zumindest ordnungsgemäß angeboten hat.

In der Praxis spielen alle diese Punkte im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens zwar eine Rolle. Die allerwenigsten Verfahren enden aber tatsächlich mit einem Urteil, das feststellt, ob die Kündigung gerechtfertigt war. Stattdessen einigen sich die Parteien in den meisten Fällen auf einen Vergleich, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Zahlung einer Abfindung beinhaltet. Zu wessen Gunsten dieser Vergleich ausfällt, hängt jedoch wiederum stark davon ab, wie die Erfolgsaussichten der Kündigungsschutzklage waren, ob die Kündigung also gerechtfertigt war – oder nicht.

Kategorie: Arbeitsrecht, Magazinausgabe #3

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Mareike ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und hat viele Jahre in einer Arbeitgeberkanzlei gearbeitet, bevor sie sich 2019 mit eigener Kanzlei selbständig gemacht hat. Vereinbarkeit ist ihr als Mutter von zwei Töchtern privat sehr wichtig – bei nine to life zeigt sie, wie diese in Betrieben umgesetzt werden kann und was Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen dabei rechtlich beachten müssen. Bei Instagram berichtet Mareike als @die.arbeitsrechtlerin über ihre Kanzleigründung und bereitet Arbeitsrecht so auf, dass jede*r es versteht. LinkedIn | Instagram | Website

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