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Über die Notwendigkeit, den Begriff Arbeitszeit neu zu denken

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Unser tradiertes Verständnis von Arbeitszeit hat ausgedient – diese These lässt mit vielen Praxisbeispiele untermauern. Ich möchte es noch konkretisieren: Die tradierte Trennung von Arbeit und Leben gehört auf den Prüfstand, weil sie die Lebenswirklichkeit nicht mehr widerspiegelt. Dies ist der Aufruf zu einem ausführlichen Diskurs.

Arbeitszeit. Arbeit. Zeit. In der Regel versteht man darunter: Die Erledigung einer festgelegten Arbeitsleistung innerhalb einer vereinbarten Zeit. Basis ist häufig ein Stundenlohn, das gezahlte Gehalt ergibt sich also aus der Multiplikation der geleisteten Stunden mit dem vereinbarten Stundenlohn.

Das dieses Modell so seine Schwächen hat, wurde mir während des Studiums erstmals deutlich: Dort arbeitete ich als Hilfskraft in der Produktion, gearbeitet wurde im 3-Schicht-Modell. Und was passierte regelmäßig 20 Minuten vor Ende der Frühschicht: An der Stempeluhr baute sich sukzessive eine lange Schlange auf. Ab 14 Uhr konnte ausgestempelt werden – und ab Punkt 14 Uhr wurde ausgestempelt. In einem Tempo, dass während der Schicht eher selten zu beobachten war. Wo lag der Fokus? Auf der Zeit. Eher nicht: auf der Arbeit.

Ein anderes Beispiel: Eine Freundin arbeitet in „Teilzeit“. Was in der Praxis bedeutet: Sie hat einen Arbeitsvertrag mit einer Regelarbeitszeit von 34 Wochenstunden. Dies ist das Maximum dessen, was sie schafft, als alleinerziehende Mutter von  zwei Kindern, die zu 50% bei ihr und zu 50% beim Vater sind. Warum Maximum? Weil sie auf jeden Euro angewiesen ist. 

Ξ 20 Stunden reichen nicht! Über ideale Arbeitsmodelle für Alleinerziehende hat Luisa Hanke ausführlich geschrieben

Die Woche sieht dann konkret so aus, dass sie an zwei Nachmittagen in der Woche die Kinder betreut, zusätzlich an jedem zweiten Freitag. Die 34 Stunden verteilen sich also faktisch auf 3,75 Arbeitstage, ein voller Arbeitstag hat dementsprechend neun Stunden. Hm. Und hinzu kommt natürlich die Betreuungszeit der Kinder: Hausaufgabenbetreuung, beim Üben von Gitarre und Geige unterstützen, zu Verabredungen und Stunden bei den Musiklehrern begleiten. Hinzu kommt weiterhin die Arbeit im Haushalt. Und die ehrenamtliche Tätigkeit als Kassenprüferin in der Grundschule. Jetzt mal ehrlich: sie arbeitet in „Teilzeit“? Ein schlechter Witz. Und auch hier: Der Fokus im Leben meiner Freundin liegt meist auf dem Zeitmanagement, in dem es darum geht, irgendwie alles unter einen Hut zu bekommen. Und das, obwohl sie einen sehr hohen Anspruch an die Qualität ihrer Arbeitsleistung hat. 

Ξ “Achtung, Falle!”: Um die Schattenseiten von Teilzeit und die einhergehende Last der Care-Arbeit geht es auch in Sandras Artikel.

Jetzt könnte man eine Debatte über Zeit führen. Wie man sie besser managen, nutzen, abgrenzen könnte. Doch die Abgrenzung von Arbeit und Leben fällt zunehmend schwerer, „Selbstundständige“ können ein Lied davon singen, vielleicht also gut, wenn eine Stempeluhr das regelt. Aber selbst dann: Homeoffice, mobiles Arbeiten, ständige Erreichbarkeit über das Handy, E-Mails vom Chef auch am Wochenende – natürlich versuchen viele Arbeitgeber*innen, mehr Zeit von ihren Angestellten zu bekommen – und verpacken dies gerne in Euphemismen wie “Engagement” und “Zielorientierung”. Zwischen Arbeitgeber*innen und Gewerkschaften läuft diese Debatte seit Jahrzehnten.

Und man könnte eine Debatte über den Arbeitsbegriff führen. Was lässt sich unter diesem Begriff fassen? In der Regel verstehen wir die Tätigkeit in einem abhängigen Beschäftigtenverhältnis. Denn nur hier ist Arbeit klar definiert: Arbeitsvertrag, Stellenbeschreibung, Projektplan. Und auch nur hier ist Zeit klar definiert: Kernarbeitszeit, Wochenarbeitszeit, Überstundenregelungen. Aber Arbeit ist noch viel mehr: Kinder erziehen, Haushalt managen, Eltern pflegen, und vieles mehr. Und auch über die Würdigung dieser Arbeitsleistungen wird längst debattiert, z.B. im Kontext eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Hinter all diesen Debatten und Debattierenden kann man sich prima verstecken: Läuft ja – und wenn es Ergebnisse gibt, schauen wir, was diese uns nützen. Aber mal ehrlich: Ist diese künstliche Trennung von Arbeit und Leben nicht ein Relikt der Industrialisierung und im 21. Jahrhundert nicht völlig antiquiert? Und bringt es uns nicht viel weiter, einen neuen Blick zu wagen und die Vereinbarkeit als gemeinsames Ziel von Arbeitgeber*innen und -nehmer*innen, Vollzeitmanager*innen in Beruf und Familie (um auch ein häufig als „klassisch“ bezeichnetes Rollenverständnis mal auf eine andere Diskursebene zu hieven) zu begreifen?

Schluss mit dem Versteckspiel!

Was wäre dann zu tun? Viel. Vor allem: Sich nicht im Allgemeinen, Pauschalen und „man müsste-könnte-sollte“ verstecken. Sondern: Ganz konkret darüber sprechen, welche Anforderungen die Lebenswirklichkeit jedes einzelnen an das Leben stellen. Und dann gemeinsam aushandeln, welche Konsequenzen dies für die Beziehung zwischen Arbeitgeber*innen und -nehmer*innen sowie den Vollzeitmanager*innen in Beruf und Familie hat – und welche Veränderungen diese nach sich ziehen. Das kostet nicht nur Zeit, sondern vor allem Interesse, am Gegenüber mit seinen Ansichten und Standpunkten, Interesse diese zu verstehen, und das ist: wirklich Arbeit. 

Ein Diskurs über die Begrifflichkeit der Arbeitszeit ist also Arbeit und kostet Zeit. Ich finde: beides ist gut investiert. Und würde mich sehr freuen, diesen Diskurs hier zu starten. Machen wir uns an die Arbeit und nehmen uns die Zeit!

Arbeitszeit: Ein arbeitsrechtlicher Überblick

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Aus rechtlicher Perspektive auf das Thema Arbeitszeit zu blicken, ist manchmal gar nicht so einfach. Das liegt vor allem daran, dass dabei immer zwei Dinge aufeinandertreffen: das Arbeitszeitgesetz einerseits, die Regelungen im jeweiligen Arbeitsverhältnis andererseits. Der folgende Überblick hilft Euch dabei zu verstehen, welche Regelungen zur Arbeitszeit rechtssicher sind und welche Möglichkeiten Arbeitgeber*innen haben, Arbeitszeit flexibler zu gestalten.

Wer über Arbeitszeit spricht, muss arbeitsrechtlich zwei verschiedene Aspekte betrachten: auf der einen Seite gibt es – wie eingangs erwähnt – das Arbeitszeitgesetz (ArbZG), das als öffentlich-rechtliches Regelwerk zwingend ist und für alle Arbeitsverhältnisse gilt. Von ihm können Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen nicht abweichen – selbst wenn sie das im beidseitigen Einverständnis gerne würden. 

Auf der anderen Seite gibt es Regelungen zur Arbeitszeit, die das jeweilige Arbeitsverhältnis konkret betreffen. Diese Regelungen sind in Arbeits- und/oder Tarifverträgen sowie (falls es einen Betriebsrat gibt) in Betriebsvereinbarungen enthalten. Dabei haben die Vertragsparteien – sofern sie sich in den Grenzen des Arbeitszeitgesetztes (ArbZG) bewegen – einen relativ großen Gestaltungsspielraum. Die Praxis zeigt aber, dass die Flexibilität, die es in diesem Bereich gibt, kaum genutzt wird. 

Arbeitszeitgesetz auf einen Blick

Das Arbeitszeitgesetz stammt aus dem Jahr 1994. Es ist gemacht für eine alte Arbeitswelt, die mit der heutigen digital transformierten Arbeitswelt in weiten Teilen nichts mehr gemeinsam hat. Dabei ist der in § 1 ArbZG festgelegte Zweck des Gesetzes „die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer (…) zu gewährleisten und die Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten zu verbessern sowie den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung der Arbeitnehmer zu schützen.“ In Zeiten digitalen Arbeitens aktuell wie nie.

Bisher gilt:

Höchstarbeitszeit
Um diese Zwecke zu erfüllen, bestimmt das ArbZG, dass die werktägliche Höchstarbeitszeit acht Stunden (die Pausen werden nicht berücksichtigt, dürfen also noch dazukommen) nicht überschreiten darf. Als Ausnahme davon kann die Arbeitszeit auf zehn Stunden täglich erhöht werden – das aber nur, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen die durchschnittliche Arbeitszeit werktäglich wieder nicht über acht Stunden liegt. Wer also innerhalb von sechs Monaten an zehn Tagen zehn Stunden arbeitet, an zehn anderen Tagen aber nur sechs Stunden, liegt durchschnittlich wieder in der Vorgabe des ArbZG.  

Übrigens: das ArbZG geht von sechs Werktagen pro Woche aus. Die wöchentliche Höchstarbeitszeit liegt deshalb bei 48 respektive 60 Wochenarbeitsstunden.

Ruhepausen
Dauert die Arbeitszeit mehr als sechs Stunden, muss eine Pause von mindestens 30 Minuten eingelegt werden. Bei mehr als neun Stunden Arbeitszeit beträgt die Mindestpausenzeit 45 Minuten. Die Pausen können in Zeitabschnitte von mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden. Nicht zulässig ist es, die Pausen an Beginn und Ende der Arbeitszeit zu legen – die Arbeitszeit muss durch die Pausen unterbrochen werden.

Ruhezeit
Nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit ist eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden einzuhalten. Für einzelne Bereiche (Krankenhäuser, Landwirtschaft, Gastronomie (hier Artikel Sophie verlinken etc.) gibt es hiervon Ausnahmen (nachzulesen in § 5 ArbZG).

Sonn- und Feiertagsruhe
Sonn- und Feiertagsarbeit ist grundsätzlich – bis auf im Einzelnen geregelte Ausnahmen (§ 10 ArbZG) – verboten.

Von all diesen Regelungen kann nur auf Grundlage von Tarifverträgen abgewichen werden. Bei Verstößen drohen Arbeitgeber*innen empfindliche Bußgelder. Und Verstöße gibt es ständig: Wer abends um 22 Uhr nochmal seine Arbeits-Mails checkt und morgens vor neun Uhr beginnt zu arbeiten, hält die elfstündige Ruhezeit nicht ein. 

Vor allem mit Blick auf die Ruhezeiten muss das Arbeitszeitgesetz dringend reformiert werden. Anlass dazu hat der Gesetzgeber sowieso: Nach der Entscheidung des EuGH zur Arbeitszeiterfassung aus dem letzten Jahr (14. Mai 2019 – C-55/18) gibt es einen klaren Gestaltungsauftrag an den deutschen Gesetzgeber. Dieser bietet einen idealen Anlass, Überlegungen zu selbstbestimmtem Arbeiten mit erhöhter Zeitsouveränität, die 2016 mit dem Weißbuch „Arbeiten 4.0“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bereits angestoßen wurden, umzusetzen. 

Individuelle Vereinbarungen zur Arbeitszeit

Innerhalb der Grenzen des Arbeitszeitgesetzes haben die Parteien des Arbeitsvertrags aber auch jetzt schon einen weiten Regelungsspielraum:

Die vereinbarte Arbeitszeit kann sich auf die Woche, den Monat oder das ganze Jahr beziehen. Dabei bietet eine Monats- oder Jahresarbeitszeit große Flexibilität im Vergleich zu einer Wochenarbeitszeit. In diesen Fällen schwankt die wöchentliche oder monatliche Arbeitszeit (das ArbZG muss dabei immer beachtet werden), die Vergütung bleibt aber jeweils gleich. Wann und wie viel Arbeitnehmer*innen in so einer Konstellation dann in der jeweiligen Woche arbeiten, legen sie selbst (in Abstimmung mit dem/der Arbeitgeber*in) fest. Häufig gibt es solche Modelle in Betrieben, in denen es starke saisonale Schwankungen gibt (z.B. Gartenbau, aber auch Hotellerie), möglich wäre das z.B. aber genauso, um berufstätigen Eltern mehr Flexibilität bei der Betreuung ihrer Kinder (Stichwort Ferien) zu geben. 

Zulässig ist es auch, für einzelne Zeiträume im Jahr die Arbeitszeit hoch- und/oder runterzufahren. Wer z.B. nicht gleich ein Sabbatical einlegen möchte, kann an seine*n Arbeitgeber*in mit dem Wunsch herantreten, für ein paar Monate im Jahr eine Teilzeittätigkeit auszuüben. Auch ein wöchentlicher Wechsel von Voll- und Teilzeitarbeit ist zulässig. Damit kann zum Beispiel – wenn gewünscht – ein berufliches Wechselmodell passend zu einem familiären Wechselmodell geschaffen werden. 

Befürchtungen der Arbeitgeber*innen – und ob sie sich bewahrheiten

Wenn Arbeitgeber*in und Arbeitnehmer*in sich einig sind, sind sehr kreative und auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Arbeitszeitmodelle umsetzbar. In der Praxis wird von dieser Möglichkeit noch eher zurückhaltend Gebrauch gemacht. Auf Seiten der Arbeitgeber*innen besteht zum Teil die Sorge, dass einmal eingeführte Arbeitszeitmodelle für alle Zeit bindend sind. Dabei können Arbeitgeber*innen, diese auch erstmal nur für einen befristeten Zeitraum testen. Nach Ablauf der befristeten Testphase kann das flexible Arbeitszeitmodell entweder verlängert werden oder es gilt wieder das „alte“ Arbeitszeitmodell. An die Befristung sind keine besonderen Anforderungen zu stellen – allerdings sollten die Einzelheiten schriftlich in einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag festgehalten werden. 

Die verbreitete Befürchtung von Arbeitgeber*innen, dass „das dann alle wollen“, ist nach meiner Erfahrung unbegründet. Neben der Tatsache, dass der Wunsch nach anderen Arbeitszeitmodellen gar nicht unbedingt bei allen Mitarbeiter*innen vorhanden ist, besteht auch keine Pflicht des Arbeitgebers bzw. der Arbeitgeberin, hier alle Mitarbeiter*innen gleich zu behandeln. Der im Arbeitsrecht geltende allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet es Arbeitgeber*innen zwar, einzelne Mitarbeiter*innen bei Begünstigungen aus willkürlichen Gründen schlechter zu stellen als vergleichbare Arbeitnehmer*innen. Andersrum bedeutet das aber nicht, dass ein im Einzelfall vereinbartes alternatives Arbeitszeitmodell diesen Anspruch auch bei allen anderen Mitarbeiter*innen begründet. (An dieser Stelle verlinke ich auch gern den Vortrag meines nine to life-Kollegens Marc Jaschik mit dem Titel “Mehr Mut zur Ungleichbehandlung” – diesen Mut kann man auch aus arbeitsrechtlicher Perspektive durchaus haben.)

Höherer Aufwand für die Personalabteilung – und warum er sich lohnt

Für Personalabteilungen bedeuten flexible Arbeitszeitmodelle im Vergleich zur gleichmäßigen Verteilung der Arbeitszeit einen etwas höheren Aufwand. Die Berechnung der Vergütung und des Urlaubsanspruchs müssen individualisiert vorgenommen werden. Wenn Mitarbeiter*innen unregelmäßig 3, 4 oder 5 Tage pro Woche arbeiten, stellt sich daneben z.B. die Frage nach den Urlaubstagen pro Jahr. 

Ähnlich ist es bei unterjährigem Wechsel der Wochenarbeitszeiten oder einem Wechsel von Voll- in Teilzeit. Allerdings gibt es für alle diese Fragen Antworten – wo also ein Wille ist, findet das Arbeitsrecht einen Weg. Und für Arbeitgeber*innen lohnt es sich gleich doppelt, flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten: Studien zeigen immer wieder (aktuell z.B. Kienbaum Benefits Survey 2020 ), dass flexible Arbeitszeiten zu den wichtigsten Benefits für Arbeitnehmer*innen gehören. Noch wichtiger dürfte der Aspekt sein, dass Arbeitgeber*innen gute Mitarbeiter*innen leichter halten und einer Fluktuation entgegenwirken können, wenn sie bereit sind, Arbeitszeitmodelle flexibel den jeweiligen persönlichen Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen anzupassen. Der Wunsch von Mitarbeiter*innen nach einer Reduzierung der Arbeitszeit ist nämlich gleichzeitig das Bekenntnis des / der jeweiligen Mitarbeiter*in, dem Unternehmen auch in Zukunft treu zu bleiben. Außerdem können sich für Arbeitgeber*innen ganz neue Chancen ergeben, wenn Mitarbeiter*innen den Wunsch nach einer Reduzierung der Arbeitszeit äußern: So eine Situation kann man zum Beispiel nutzen, um die bisher in Vollzeit von einer Person ausgefüllte Position im Jobsharing zu besetzen. Welche Vorteile das bietet, könnt ihr hier lesen.

Gesetzliche Ansprüche auf Änderung der Arbeitszeit?

Ist der Wunsch nach einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung nur bei dem*der Arbeitnehmer*in vorhanden und ist der*die Arbeitgeber*in nicht bereit, diesen Wunsch zu erfüllen, kann es unter bestimmten Voraussetzungen auch einen Anspruch auf eine Verringerung und andere Verteilung der Arbeitszeit geben. Die einzelnen Voraussetzungen sind z.B. im Teilzeit- und Befristungsgesetz (auch für Brückenteilzeit), BEEG, Pflegezeitgesetz, Familienpflegezeitgesetz etc. geregelt. Für die allermeisten dieser Ansprüche gilt dann aber eine gesetzliche wöchentliche Mindest- und Höchstarbeitszeit und die (ggf. gerichtliche) Durchsetzung der Ansprüche ist aufwendig und mit Kosten verbunden. Zudem gelten diese Ansprüche i.d.R. nicht in Kleinbetrieben, d.h. nur dann, wenn der*die Arbeitgeber*in eine Mindestanzahl an Mitarbeiter*innen beschäftigt. 

Und was ist eigentlich mit dem Betriebsrat?

In Betrieben, in denen ein Betriebsrat existiert, gibt es häufig Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit, die dann entsprechend zu beachten sind. Gleichzeitig kann ein Betriebsrat für die Belegschaft flexible Arbeitszeitmodelle initiieren und dazu mit dem Arbeitgeber bzw. der Arbeitgeberin eine Betriebsvereinbarung abschließen und den Mitarbeiter*innen damit eine Anspruchsgrundlage schaffen. 

Teilzeit muss männlicher werden

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Um Teilzeit vom Stigma des Nebenjobs zu befreien, braucht es vor allem mehr Männer, die dieses Modell wählen. Das hätte nicht nur Vorteile für Familien, sondern auch positive Effekte für Gesellschaft und Wirtschaft. Für alle Männer, die sie nutzen wollen, ist dieser Brief.

Lieber (werdender) Vater, lieber Mann,

hast du das Gefühl, zu viele Dinge auf Wochenenden und Urlaube verschieben zu müssen? Diese eine Geschäftsidee, auf die dein*e Arbeitgeber*in nicht aufspringen möchte. Schöne Momente mit der Familie. Endlich mal wieder ausgiebig mit den Eltern sprechen. Und ach! Sport wolltest du ja eigentlich auch noch machen? 

Als zweifacher Vater (meine Kinder sind 5 und 1) fallen mir viele Argumente ein, weniger zu arbeiten und mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen. Die ersten Schritte, die ersten Worte, das erste Tor beim Fußball, das erste Mal Haare flechten, abholen von der KiTa – das alles verpassen? Nein, das wollte und will ich nicht. 

Meine aktuelle Teilzeittätigkeit ermöglicht mir viel Zeit mit meinen Kindern und Zeit für private Projekte – zum Beispiel für diesen Artikel. Arbeit in Teilzeit könnte auch für Dich eine Lösung sein. Und für ein großes gesellschaftliches Problem:

Warum muss Teilzeit männlicher werden?

Teilzeit ist derzeit vorwiegend ein Thema für Frauen. Sie sind es in der Regel, die bezahlte Arbeit aufgeben, um mehr unbezahlte Arbeit zu verrichten. Die Folge sind unter anderem, dass sich Rollenbilder verfestigen, Frauen weiterhin weniger Karriere machen und ihnen eine bedeutend kleinere Rente zusteht als Männern. 

Ξ Achtung, Falle!”: Um die Schattenseiten von Teilzeit und die einhergehende Last der Care-Arbeit geht es auch in Sandras Artikel.

Die Teilzeitschere zwischen den Geschlechtern finde ich aus zwei Gründen problematisch. Zum ersten möchte ich in einer fairen und solidarischen Gesellschaft leben, in der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern herrscht. Um Frauen mehr Chancen zu ermöglichen, müssen Männer endlich aktiver werden. Meinst du nicht?

Zum zweiten bietet eine Arbeit in Teilzeit  jedem von uns die Möglichkeit zu prüfen, woraus er seine Erfüllung ziehst. Ist es die Arbeit, sind es die Kinder, ist es die ehrenamtliche Tätigkeit oder doch das Buchprojekt oder der Podcast, über den du schon so lange nachdenkst? Arbeit in Teilzeit kann uns allen helfen, uns und unsere Potenziale besser zu begreifen und zu entfalten.

Wie kann der Wandel gelingen?

Strukturelle Hindernisse wie das Ehegattensplitting müssen abgeschafft werden, denn es belohnt möglichst ungleiche Einkommensverhältnisse. Diese steuerliche Förderung des Einverdiener-Modells zementiert die bestehende Diskrepanz in der Arbeitszeit zwischen Männern und Frauen. 

Führung und Karriere muss auch in Teilzeit möglich sein. Dass das funktionieren kann, z.B. in Job-Tandems, zeigt der Leitartikel dieser Magazinausgabe. Unternehmen müssen verstehen, dass nicht die Dauer sondern die Qualität der Arbeitszeit entscheidend für den Unternehmenserfolg ist.

Aber was kannst du selbst tun? Gleichgeschlechtliche Vorbilder sind besonders bei Themen relevant, die dem eigenen Geschlecht eher nicht zugeschrieben werden. Männer brauchen also männliche Vorbilder und Beispiele, wie alternative Arbeitsmodelle aussehen können. Wenn diese dann noch von Vorgesetzten kommen, ist der Vorbildeffekt umso höher. Aus der Praxis erlebe ich selbst, dass meine Teilzeitarbeit kritisch hinterfragt wird – von Männern. Sobald ein ausführliches Gespräch stattgefunden hat, ist das Verständnis und die Akzeptanz viel höher.

Was bringen uns mehr Männer in Teilzeit?

Mehr Männer in Teilzeit sind ein Katalysator für Gleichberechtigung. Gerechter verteilte Arbeitszeiten erlauben eine gerechtere Aufteilung von Erwerbsarbeit und Care-Arbeit. Dies führt zu gleichberechtigter Elternschaft und schafft Vorbilder für kommende Generationen.

Eine sich schließende Lücke zwischen den Einkommen von Frauen und Männern erlaubt auch eine gerechtere Verteilung von Elternzeit, da die verringerten Einkommensunterschiede eine Angleichung im Elterngeldbezug bewirken. Ähnliche Einkommen führen zu ähnlichen Renten.

Mehr Männer in Teilzeit führen zu einer anderen Wahrnehmung von Teilzeit durch Arbeitgeber*innen. Wenn mehr Menschen in Teilzeit arbeiten, wird Führung und Verantwortung auch in Teilzeit möglich (und nötig) sein. Dies wird wiederum dazu führen, dass mehr in Teilzeit arbeitenden Frauen mit Führungsaufgaben betraut werden. Teilzeitarbeit wird endlich nicht länger als Nebenjob abgetan.

Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen sind vielfältig. Im ersten Schritt bleibt in vielen Konstellationen ein Einkommensverlust. Es ist die Henne-Ei-Problematik – wie viel Einbuße nimmst du kurzfristig vielleicht hin, um langfristig eine gerechtere Arbeitswelt zu schaffen und dich selbst verwirklichen zu können?

Langfristig gesehen, sind mehr Männer in Teilzeit ein wichtiger Schritt zu mehr Gleichberechtigung.  Machen wir diesen Schritt gemeinsam!

Du möchtest sehen, ob Teilzeit für dich machbar ist? Probier es doch mal so:

  • Du kannst Teilzeit simulieren, in dem du über einen Zeitraum von mehreren Wochen einen oder mehrere Urlaubstage pro Woche nutzt oder angesammelte Überstunden endlich abbaust. 
  • Probiere so aus, ob du eher der Typ für komplette freie Tage oder für kürzere Arbeitstage bist. 
  • Sprich mit deinen Vorgesetzten oder der HR-Abteilung und lotet gemeinsam aus, welche Teilzeitmodelle für dich in Frage kommen. 
  • Du möchtest Dich nicht für ewig auf Teilzeit festlegen? Vielleicht könnt Ihr Euch auf ein Probemodell für die Teilzeitregelung einigen?
  • Wenn du noch Anspruch auf Elternzeit hast, kann das Elterngeld Plus für dich ein Einstieg in die Teilzeit sein. In diesem Modell kannst du bis zu 30h arbeiten und bekommst für den reduzierten Arbeitsanteil Elterngeld gezahlt. 
  • Sammle Ideen, wofür die gewonnene Zeit nutzen möchtest. Sprich mit Partner*innen und Freund*innen darüber und schaffe so Verbindlichkeit.
  • Teilzeit für dich muss nicht bedeuten, dass in Eurem Haushalt weniger gearbeitet wird. Dein*e Partner*in kann in gleichem Maße ihre Arbeitszeit erhöhen, indem du diese reduzierst.

Hey Studierende, wieviel wollt ihr später arbeiten?

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Was wollen junge Fachkräfte? Lässt sich ein Trend in den Traum-Arbeitszeitmodellen meines Umfeldes erkennen? Oder noch spezifischer – welche Anforderungen hat die Generation Z an ihren späteren Arbeitgeber? In den nächsten Jahren kommt der Einstieg unserer Generation auf den Arbeitsmarkt nach dem abgeschlossenen Studium oder der fertigen Berufsausbildung langsam aber sicher immer näher. Ich habe mich auf die Suche begeben und elf Kommiliton*innen und ehemalige Mitschüler*innen zwischen 19 und 24 Jahren zu ihrem Traum-Arbeitszeitenmodell, ihren Zukunftsängsten in Bezug auf die Arbeit und ihren Wünschen befragt. 

Das Ergebnis, auch wenn sich Trends ableiten lassen: Mein Umfeld ist so vielschichtig und individuell, dass es anmaßend wäre, zu behaupten, die Generation Z hätte EIN konkretes Wunsch-Arbeitszeitmodell. Wie könnte das auch sein, sind wir doch nicht erst in Plattformen wie LinkedIn im Laufe unserer Karriere hineingewachsen oder haben erst im Laufe der Zeit mit Hilfe des Internets immer mehr Möglichkeiten und Wege sehen können, sondern sind seit jeher einer Informationsflut ausgesetzt. Rein faktisch haben wir vielleicht nicht mehr Möglichkeiten, aber wir können die Vielfältigkeit der Möglichkeiten besser wahrnehmen. Vielleicht gehen gerade deshalb einige Vorstellungen und Einstellungen meines Umfeldes in Bezug auf das spätere Arbeitsleben so stark auseinander. 

Es gibt jedoch etwas, dass der Großteil gleich sieht: 

Flexible Arbeit ist ein Muss.

Dieser Trend sticht jedoch, nicht nur aus meiner Befragung, sondern auch aus der von uns durchgeführten Umfrage unter Führungskräften zum selbstbestimmtem Arbeiten heraus. Home Office und Gleitzeit ist aktuell DAS Thema und zwar generationenübergreifend. Fünf der von mir befragten zukünftigen Fachkräfte geben sogar an, dass sie eine 50/50 Aufteilung von Bürozeit und Home Office wählen würden. Nur ein Fünftel der Befragten gaben an, ausschließlich im Büro arbeiten zu wollen. Dabei ist der Wunsch nach eigenverantwortlicher Zeiteinteilung und Selbstbestimmung hoch, damit das Leben außerhalb der Arbeit besser koordiniert werden kann. 

Die Vorstellungen von flexibler Arbeit sind individuell

Wie diese eigenverantwortliche Zeiteinteilung und Koordination von Leben und Arbeit ausgestaltet werden könnte, ist bei kaum einer befragten Person gleich. Die Einen können sich gut vorstellen am Samstag zu arbeiten, um einen Tag in der Woche für Erledigungen und Termine frei zu haben. Die Anderen wünschen sich die Wochenenden komplett frei zu haben und an diesen auch nicht an die Arbeit denken zu müssen. Während die Einen morgens gerne sehr früh arbeiten, brauchen die Anderen ihre Zeit und ihren Kaffee. Je mehr Studenten ich zu diesem Thema befragte, desto mehr Unterschiede konnte ich erkennen. 

Permanente Erreichbarkeit als Herausforderung

Mit dem Wunsch nach Flexibilität und Selbstbestimmung geht jedoch auch die Angst nach permanenter Erreichbarkeit einher. Schon jetzt und gerade in Zeiten von Corona sind Mails auf einen Sonntagabend von Professoren nichts Besonderes mehr. Mails vom Professor kommen auf dem Handy genauso als Push Nachricht an, wie die Whatsapp von den Kommiliton*innen. Der Wunsch nach einer „klare[n] Trennung von Privatem und Arbeit“ im späteren Berufsleben (Studentin, 19), um die Möglichkeit zum Abschalten zu haben, zeichnen sich ab und erscheinen berechtigter als je zuvor.

Die Lebenseinstellungen zur Arbeit könnten unterschiedlicher nicht sein

Auch bei meiner Frage nach der persönlichen Lebenseinstellung zur Arbeit gehen die Meinungen wieder stark auseinander. Etwa zwei Drittel der Befragten sehen Arbeit als etwas, das sozialen Mehrwert bieten soll, hier werden sich ein lockeres Arbeitsklima und flache Hierarchien gewünscht. Nele, 21, Studentin sieht dies wie folgt:

„In meiner Zukunftsvorstellung liegt der Fokus nicht auf Karriere, sondern vor allem darauf, dass ich einen Beruf ausüben möchte der mir Spaß macht. Außerdem finde ich Zeit für die Familie und eigene Interessen neben der Arbeit sehr wichtig. Deshalb finde ich auch die Vorstellung gut, sich die Arbeit zu einem gewissen Teil selbst einzuteilen oder im Home Office zu erledigen.“

Gegenteilig hier: Etwa ein Drittel aller Befragten betrachten die Arbeitswelt, in die sie eintauchen wollen, sehr zielorientiert. Uneingeschränkte Karrierechancen und eine 50-60 Stunden Woche, um diese auch wahrnehmen zu können, werden hier gewünscht. Joosten, Student und Gründer von Forma Studio Medienproduktion bringt hier ein klares Statement: 

Arbeit macht Spaß, solange sie Erfolg bringt – sowohl für mich, als auch für diejenigen, für die man etwas bewirken möchte.“ 

Joosten, 20, Student

Hier wird deutlich, wie unterschiedlich die jeweiligen Vorstellungen zur zukünftigen Arbeitszeit und die persönliche Mentalität in Bezug auf die Arbeit sind. 

Teilzeit sehen die wenigsten als Möglichkeit

So unterschiedlich die Vorstellungen vom späteren Arbeitsleben auch sind, so springt eines direkt ins Auge: In Teilzeit möchten die wenigsten arbeiten. Der Hauptgrund ist simpel. Hier in Neles Worten: 

Spezifisch auf spätere Phasen meines Lebens bezogen, möchte ich ungern in Teilzeit gehen, unter anderem wegen geringeren Aufstiegschancen.“

Nele, 24, Studentin

Ängste, die einem Umdenken entgegenstehen

Paradox, dass sich die Wenigsten vorstellen können in Teilzeit zu arbeiten, wenn ich mir die Ängste, die die Befragten angaben, ansehe. Hier wird mehrfach von psychischer Belastung durch Stress und der Angst vor psychischen Problemen gesprochen. 

Kein Wunder, denn das gesellschaftliche Idealbild sind die Vollzeitarbeitenden, die Karriere machen, dabei ihre Kinder großziehen, sich um Angehörige kümmern und im besten Fall noch ein Ehrenamt bekleiden. Diese Vorstellung ist uns allen ein Begriff. Hinzu kommt natürlich der lückenfreie Lebenslauf seit der Einschulung, das Gefühl, perfekt in ein gesellschaftliches Bild passen zu müssen, um all den Herausforderungen, die uns erwarten, Stand halten zu können. Wir blicken in eine Zukunft, die von technologisch bedingten rasanten Veränderungen, an die man sich möglichst schnell anpassen muss, sowie von ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen geprägt sein wird. Das birgt Unsicherheit.

Trotzdem stehen digitale Türen offen. Wir könnten uns eine Arbeitswelt gestalten, wie sie uns gefällt. Genügend oft fällt der Wunsch nach erfüllender Arbeit und Selbstverwirklichung durch Karriere. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass Ängste vor Arbeitslosigkeit oder vor rasanten technologischen  Veränderungen davon abhalten, über den Rand hinaus zu blicken, um sich eine Arbeitswelt vorzustellen, wie wir sie gerne hätten, nicht wie wir glauben, dass sie mit unseren Wünschen und dem System zusammenpasst. 

Klein anfangen

Daher sollten wir uns mit kleinen Schritten auf den Weg machen unsere Zukunft zu gestalten, anstatt uns in unseren Überlegungen und Taten von Zukunftsängsten einschränken zu lassen. Der Trend zeigt in Richtung eigenverantwortliche Zeiteinteilung und Selbstbestimmung. Auch ist der Wunsch nach einer Mischung aus Office und Home Office-Arbeit vorhanden. Je konkreter die Wünsche, desto individueller und unterschiedlicher werden diese auch. Schließlich sind wir alle individuell und müssen den Weg finden, der zu unserer Individualität passt. 

Begleitet und eingeschränkt von Zukunftsängsten orientieren sich unsere Wünsche stark an gesellschaftlichen Standards einer flexiblen und  erfüllenden Vollzeitarbeitsstelle. Extrem starke Veränderungen werden aus meinem Umfeld nicht gefordert. Es muss nicht direkt die 4-Tage-Woche und der 5-Stunden-Arbeitstag sein, vielleicht reicht es mit einem 4-Tage-Office-Anwesenheit oder einem 5-Stunden-Erreichbarkeit-Arbeitstag anzufangen. 

Sicher ist, dass der Wunsch nach eigenverantwortlicher Zeiteinteilung und Selbstbestimmung vorhanden ist und die technologischen Möglichkeiten dies definitiv zulassen. Auch wenn die Individuellen Anforderungen des Einzelnen eine Herausforderung sind, bietet ihre Lösung vermutlich auf lange Sicht weniger Stress und dafür mehr Produktivität.

Arbeitszeitgestaltung als Führungsinstrument

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Unser Blick auf die Zeit hat sich durch Corona verändert, allein deshalb, weil viel darüber diskutiert wird, wo man seine Arbeitszeit jetzt verbringt: im Büro, im Homeoffice, in Online-Besprechungen,… Dieser Artikel erläutert, warum die Arbeitszeit dadurch ein spannendes Führungsinstrument wird – und wie Führungskräfte dies nutzen können.

In unseren Beratungsprojekten bei PLANKTON geht es fast immer darum, mit welchen Mitteln man Organisationen so gestalten kann, dass die identifizierten Probleme gelöst und/oder die formulierten Ziele erreicht werden. Wir gehen dabei vom Luhmannschen Grundsatz aus, dass die Verhältnisse das Verhalten bestimmen. Und schauen je nach Thema und Aufgabe danach, welche Hebel sich eignen, die Verhältnisse in der Organisation entsprechend zu verändern, anzupassen und weiterzuentwickeln. 

Die großen Hebel für Veränderung liegen meist in den Strukturen: Gehälter, Karrierewege, Hierarchiestufen, Arbeitsinhalte, Zielvereinbarungen, Entscheidungsbefugnisse, Verantwortungsgebiete. Manchmal auch im Bereich von Strategien und Zweckformulierungen. Doch interessanterweise ist die Arbeitszeit in der Praxis bisher keiner dieser großen Hebel. Warum eigentlich nicht?

Ungenutzte Gestaltungsmöglichkeiten

Das „Problem“ an der Arbeitszeit ist, dass hier die Verhältnisse maßgeblich außerhalb der Organisation festgelegt sind: Im Arbeitszeitgesetz, in Tarifverträgen. Die Organisation hat auf dieser Basis zwar eine Gestaltungsmöglichkeit in der Verhandlung und Formulierung des Arbeitsvertrages. Dieser wird allerdings nur in speziellen Situationen wie einer Beförderung o.ä. inhaltlich angepasst – und die Arbeitszeit ist dabei selten ein Thema.

Ξ Gestaltungsspielraum! Welche Freiräume Arbeitsverträge im Punkt Arbeitszeit bieten, hat Arbeitsrechtlerin Mareike in ihrem aktuellen Artikel aufgezeigt.

Wenn doch, dann im Kontext von Elternzeit oder der Frage von Teil- und Vollzeit. Grundsatzfragen, die einmal geklärt, anschließend wenig variabel sind. In der Konsequenz ist Arbeitszeit damit ein nur selten zu nutzendes Führungsinstrument. Bisher.

Zum Thema Arbeit und Zeit gibt es bislang vor allem unzählige Ratgeber, wie man Zeit am effektivsten managen kann. Als wenn die Zeit das mit sich machen ließe. Tatsächlich geht es dabei natürlich um die Priorisierung von Arbeitsinhalten, die Delegation von Aufgaben, die Strukturierung der eigenen Arbeit. 

Die Zeit hat allerdings durch Corona eine massive Aufwertung erlebt. Weil im Lockdown einerseits deutlich wurde, wie wertvoll sie ist. Und andererseits viel darüber diskutiert wurde, wo man sie verbringt: im Home Office, im Büro, in der Bahn (die Bahn erfuhr als Arbeitsplatz ebenfalls eine deutliche Aufwertung). Und damit wurde die Aufteilung der Arbeitszeit in Bezug auf den Arbeitsort plötzlich eine Dimension, die deutlich mehr gestaltbar und deshalb als Führungsinstrument relevanter wird.

Ein Erkenntnis – drei Empfehlungen

Der Hebel für die Führungskraft ist in allen Fällen – Arbeitsinhalte, Arbeitszeit oder Arbeitsort – ganz konkret die Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen bei eben jener Aufteilung. Hier haben beide Seiten ein Aushandlungsfeld, in dem sowohl viele Möglichkeiten als auch Konfliktpotenzial liegen.

Doch was kannst Du als Führungskraft mit dieser Erkenntnis anfangen? Mindestens Dreierlei:

  1. Gehe auf die Wünsche Deiner Mitarbeiter*innen ein und gib Dir Mühe, im Rahmen Deiner Möglichkeiten Lösungen zu finden. Die Loyalität und Motivation als Gegenleistung wird Dir gewiss sein, denn bei der Gestaltung der Arbeitszeit geht es häufig um existenzielle Themen wie die Organisation der Kinderbetreuung.
  1. Nutze die individuellen Lösungen im Aushandlungsprozess dafür, die Ziele Deines Teams zu unterstützen (z.B. durch Vergabe neuer Aufgaben). Und kommuniziere dies ins Team, um Akzeptanz für Lösungen zu erzeugen, die nicht für jeden gleich sein können und auch nicht müssen.
  1. Sei Dir der Verantwortung für Deine Mitarbeiter*innen bewusst und habe ein wachsames Auge darauf, wie die neue Gestaltung der Arbeit umgesetzt wird und ob nicht eine Überforderung die Folge ist, die sich dauerhaft sehr negativ auswirken kann. Sei Dir bewusst: Wir alle lernen gerade den Umgang mit der scheinbar neuen Freiheit. Du auch!

In diesem Sinne: Nehmen wir uns die Zeit und arbeiten gemeinsam daran. Schreib uns von Deinen Erfahrungen. Wir freuen uns auf einen spannenden Diskurs.

“Mit 20 Stunden-Jobs kann ich meine Familie nicht ernähren”

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Von Netto-Gehältern, die Teilzeitjobs mit geringen Arbeitswochenstunden abliefern, können Alleinerziehende keine Familie ernähren – das weiß Gastautorin Luisa Hanke allzu gut. Sie  hat in den vergangenen acht Jahren als Alleinerziehende ein Masterstudium absolviert sowie unterschiedliche Jobs – von der Anstellung als Assistentin bis zur Führungsposition und der Selbstständigkeit – ausgeübt und dabei diverse Arbeitsmodelle erprobt. In diesem Artikel wirft sie einen Blick zurück und teilt ihre wichtigsten Erkenntnisse. Unter anderem gibt sie Hinweise, wie Arbeitgeber*innen bessere Rahmenbedingungen für Alleinerziehende gewährleisten können.

Was ich mir für Alleinerziehende wie mich wünsche? Anspruchsvolle vollzeitnahe Jobs mit 30 bis 35 Wochenarbeitsstunden, die faire Gehälter generieren und eine flexible Gestaltung von Arbeitszeiten und -orten ermöglichen. Nur so können Vereinbarkeit und finanzielle Sicherheit für Alleinerziehende besser funktionieren. 

Wir müssen über Geld reden!

Erfüllung und Erfolg im Beruf bedeutet für mich, anspruchsvoll zu arbeiten, aber natürlich auch entsprechend meiner Leistungen fair entlohnt zu werden, um meine Familie ernähren können. Die alleinige finanzielle Verantwortung zu tragen stellt eine immense Belastung für Alleinerziehende dar, die mitunter anhaltenden Stress auslösen kann. 

Mein Gehalt muss nicht nur die monatlichen Fixkosten decken, sondern vor allem auch kleine Rücklagen bilden und meinem Kind Teilhabe, Bildung und Förderung sowie schlichtweg die Erfüllung von Wünschen zu ermöglichen. Klappt das nicht, verspüre ich als Alleinerziehende großen Druck, Unzufriedenheit und sogar Zukunftsangst. Ich verliere das ermächtigende Gefühl von Selbstwirksamkeit und misse wertvolle Erfolgserlebnisse. 

Wir leben in einem System, dass Wertschätzung, Erfolg und Sicherheit monetär abbildet. Natürlich möchte ich auch in diesem System repräsentiert sein. Ich möchte von meinem Gehalt mich und meine Familie gut versorgen können. Von einem 20-Stunden-Job der mit netto 1.400 Euro im Monat bringt, gelingt mir das nicht. Solange von steuerlichen Vorteilen nur Eheleute, nicht aber Familien profitieren, kommt für mich und viele andere Alleinerziehende nur ein vollzeitnaher Job in Frage, der mir die notwendigen finanziellen Ressourcen bietet.

Vollzeit(nahe) Arbeit flexibel gestalten

Eine Vollzeit(nahe)-Tätigkeit – sofern sie bedeutet, in starren Strukturen zu arbeiten – kam für mich nie in Frage, auch wenn ich auf das dadurch generierte Gehalt angewiesen war. Denn dieses Modell steht meinem persönlichen wertebasierten Ziel, meiner Tochter ein aufmerksamer und präsenter Elternteil zu sein, entgegen. Wie bei vielen Alleinerziehenden bin ich der einzige Elternteil, den sie tatsächlich im Alltag um sich hat. Daher lehne ich es ab, meine Tochter täglich von 8 bis 18 Uhr fremd betreuen zu lassen. 

Wie also können wir Vollzeit(nahe)-Arbeit so gestalten, dass sie Alleinerziehende finanziell absichert, inhaltlich erfüllt und die nötige Flexibilität bietet, um Familie zu leben und sich immer wieder zu regenerieren und so langfristig belastbar zu sein?

  • Unternehmen können familienfreundliche Vollzeit anbieten

Dieses Modell bietet eine eigenverantwortliche Aufteilung der Arbeitszeit außerhalb einer festgelegten Kernarbeitszeit (beispielsweise von 9 bis 15 Uhr). Mit diesem Modell kann ich bereits ein großes Arbeitspensum abdecken, Erreichbarkeit garantieren und die offene Arbeitszeit eigenverantwortlich einteilen, was eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht.

  • Mitarbeitende sollten fragmentiert arbeiten können

Diese Möglichkeit habe ich immer genutzt. Je nach Bedarf zwei bis dreimal die Woche von 20 bis 22 Uhr oder bei steigendem Alter und späteren Schlafenszeiten meiner Tochter in den frühen Morgenstunden von 5 bis 7 Uhr. Idealerweise lässt sich die frühe Arbeitszeit mit anschließendem Home Office kombinieren. Wenn ich diese zusätzliche Arbeitszeit an zwei Tagen in der Woche fest integriere, kann ich ein hohes Stundenkontingent absolvieren und aufgrund der Planbarkeit gleichzeitig auf meine Kraftressourcen achten.

  • Homeoffice für mehr Arbeitszeit nutzen

Mindestens zwei Tage Home Office pro Woche bescheren mir mindestens vier zusätzliche Stunden wöchentliche Arbeitszeit. Ich spare nicht nur die Fahrtzeit, sondern ebenso Zeit und Energie, die ich investiert hätte, um bürotaugliche Garderobe zu planen und mich herzurichten. Außerdem ermöglicht mir die Arbeit im Home Office ungestörte Deep Work-Phasen, in denen ich konzentriert Aufgaben abarbeiten kann. Werden gleichzeitig Meetings ressourcenschonend geplant und an beispielsweise ein bis zwei Tagen die Woche gebündelt, gibt es genügend Meeting-freie Tage, um anspruchsvolle Aufgaben ohne einschneidende Unterbrechungen abzuarbeiten.

  • Mit kürzeren und längeren Arbeitstagen Ausgleich schaffen

Ein bis zwei lange Arbeitstage pro Woche ermöglichen es Alleinerziehenden auf eine vollzeitnahes Stundenkontingent zu kommen. Teilzeitmodelle, in denen ich jeden Tag um Punkt 15 Uhr Schluss mache, sind für mich belastend. Sie geben mir oft nicht die Möglichkeit, Aufgaben in einem Tag abzuarbeiten oder mich in der Tiefe in Lösungen hineinzudenken. Das Gefühl, die Fertigstellung von Aufgaben immer wieder auf den kommenden Tag zu schieben kann zur Belastung werden. Gerade wenn auf einen kurzen Arbeitstag noch Meetings fallen, ist es wertvoll, neben einer Pause zur Regeneration, mindestens weitere drei bis vier Stunden zum ungestörten Abarbeiten nutzen zu können.

Durch lange Arbeitstage kann ich wiederum an anderen Tagen verkürzt arbeiten und freie Zeit für die Familie oder für wichtige Erledigungen nutzen. In Familien mit zwei Elternteilen können all die anfallenden familiären To Dos an eine*n Partner*in abgegeben werden, bleiben jedoch bei Alleinerziehenden in starren Arbeitsmodelle viel zu oft liegen: Kinderarzttermine, Therapietermine, Kita- und Schulveranstaltungen, Reparaturen usw. Durch die flexible Einteilung, kann hier systematisch Ausgleich geschaffen werden, was wiederum Alleinerziehende entstresst und die eigene Resilienz und Performance stärkt.

Unternehmen können hier unterstützen, indem sie über solche Möglichkeiten der Flexibilisierung wöchentlicher Arbeitszeit sprechen. Zusätzlich kann die individuelle Betreuung von Kindern Alleinerziehender, beispielsweise an einem Nachmittag die Woche, bezuschusst werden. Solch ein Zuschuss für die private Kinderbetreuung kann vom Unternehmen in voller Höhe als Betriebskosten steuerlich abgesetzt werden.

  • Monatlich definierte Arbeitszeiten schaffen Raum für Regeneration

Für Alleinerziehende empfinde ich projektorientierte Arbeitsmodelle, die eine monatliche Arbeitszeit beispielsweise von 120 bis 130 Stunden umfassen, ideal. Die Idee dahinter ist, dass Mitarbeiter*innen selbstbestimmt, innerhalb eines Monats, arbeitsintensive Phasen mit weniger intensiven Phasen abwechseln können. Das bietet ihnen die notwendige Flexibilität, um erfolgreich zu arbeiten, genug Arbeitszeit zu sammeln, familiären Herausforderungen wie z.B. Krankheit unbürokratisch gerecht zu werden und ebenso Entlastungsphasen für die eigene Regeneration zu nutzen. Mitarbeitende können über die zeitliche Erfassung am Monatsende eine interne Rechnung über die erfolgte Arbeitszeit stellen.

Viele dieser Möglichkeiten können miteinander kombiniert werden, bieten individuell passende Arbeitsmodelle bieten und machen Erfolg und Vereinbarkeit für mehr Alleinerziehende möglich.


Luisa Hanke ist systemischer Coach, Unternehmensberaterin, studierte Soziologin und alleinerziehende Mutter. Als Gründerin des Vereinbarkeits LABs unterstützt sie berufstätige Eltern und Unternehmen für mehr Vereinbarkeit, familienfreundliche Karrieren und zukunftsfähige Arbeitskulturen. Website | LinkedIn | Instagram

#2 Arbeitszeit

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Arbeitszeit. 40 Wochenstunden verteilt auf fünf Tage, gern garniert mit ein paar Überstunden – daran denken bei diesem Wort noch immer die meisten. Geleistete Arbeitszeit entscheidet über das, was am Ende des Monats auf dem Gehaltszettel steht – und oft auch darüber, wer in verantwortungsvolle Positionen kommt.

Doch nicht jeder möchte so arbeiten. Und noch viel wichtiger: Nicht jeder kann so arbeiten. Überhaupt: Warum wird Arbeit noch immer mit Erwerbsarbeit gleichgesetzt? Es gibt doch so viel mehr Arbeit, die Menschen täglich leisten.

Ein Diskurs über Arbeitszeit ist Arbeit und kostet Zeit. Wir finden: beides ist gut investiert! Wir haben Euch ein wenig Arbeit erspart und schon einmal verschiedene Gedanken, Meinungen und Impulse zusammengetragen, die den Diskurs voranbringen und den Blick weiten können. Jetzt seid Ihr dran: Nehmt Euch die Zeit zum Lesen der Artikel und zum Diskutieren über die Inhalte. Wir wünschen Euch dabei viel Freude.

Alle Artikel der Ausgabe #2

  • “Mit 20 Stunden-Jobs kann ich meine Familie nicht ernähren”
    Luisa Hanke hat in den vergangenen acht Jahren als Alleinerziehende ein Masterstudium absolviert sowie unterschiedliche Jobs ausgeübt. Dabei hat sie diverse Arbeitsmodelle erprobt. In diesem Artikel wirft sie einen Blick zurück, teilt Erkenntnisse und gibt Hinweise, wie Arbeitgeber*innen bessere Rahmenbedingungen für Alleinerziehende gewährleisten können.
  • 12 Möglichkeiten, Teilzeitkräfte zu unterstützen
    Das Konzept von Teilzeit bietet die große Chance. Um sie zu nutzen, müssen Führungskräfte dem schlechten Image der Teilzeit entgegenwirken und Rahmenbedingungen für Teilzeitkräfte unterstützen. 12 praktische Tipps, wie das gelingt.
  • Alternative Arbeitszeitmodelle: Außerhalb des Büros Mangelware
    Alternative Arbeitszeitmodelle? In manchen Branchen kann man darüber nur müde lächeln. Ich habe eine Hotelfachfrau und eine Neurologin getroffen, um mit ihnen über Vereinbarkeit zu sprechen. Die beiden haben mir geschildert, wie sich kurzfristige Dienstpläne und Schichtmodelle auf ihr Privatleben auswirken.
  • Arbeitszeit: Ein arbeitsrechtlicher Überblick
    Aus rechtlicher Perspektive auf das Thema Arbeitszeit zu blicken, ist manchmal gar nicht so einfach. Der folgende Überblick hilft Euch dabei zu verstehen, welche Regelungen zur Arbeitszeit rechtssicher sind und welche Möglichkeiten Arbeitgeber*innen haben, Arbeitszeit flexibler zu gestalten.
  • Arbeitszeitgestaltung als Führungsinstrument
    Seit Corona wird viel darüber diskutiert, wo man seine Arbeitszeit verbringt: im Büro, im Homeoffice, in Online-Besprechungen,… Marc erklärt, warum die Arbeitszeit dadurch ein spannendes Führungsinstrument wird und wie Führungskräfte dies nutzen können.
  • Die Falle schnappt zu: Frauen in Teilzeit
    Wo Teilzeit auftaucht, sind Gender-Ungerechtigkeiten, Benachteiligungen und finanzielle Not nicht weit. Dabei bietet das Konzept von Teilzeit eigentlich eine große Chance für sämtliche Arbeitnehmer*innen. Aktuell haben wir aber selten eine echte Wahl. Schon gar nicht, wenn wir Frauen sind.
  • Geteilte Führung braucht “Vertrauen und gesunden Menschenverstand”
    Frauke Lucks und Cornelius Hünemeyer leiten bei HAMBURG WASSER gemeinsam einen der wichtigsten Geschäftsbereiche mit 600 Mitarbeiter*innen. Sie geben Einblicke in ihren Arbeitsalltag und erzählen, wie das Modell ihr Leben verändert hat.
  • Hey Studierende, wieviel wollt ihr später arbeiten?
    Was wollen junge Fachkräfte? Lässt sich ein Trend in den Traum-Arbeitszeitmodellen erkennen? Kim hat sich auf dem Campus in Bremen umgehört.
  • Mit Top-Sharing den Rekrutierungspool erweitern? Das geht!
    Führungspositionen zu teilen kann die Chancengleichheit und Diversität in Unternehmen fördern. Tipps zur Rekrutierung von Top-Tandems geben Katharina Wiench und Esther Himmen.
  • Teilzeit muss männlicher werden
    Um Teilzeit vom Stigma des Nebenjobs zu befreien, braucht es vor allem mehr Männer, die dieses Modell wählen. Das hätte nicht nur Vorteile für Familien, sondern auch positive Effekte für Gesellschaft und Wirtschaft.
  • Über die Notwendigkeit, den Begriff Arbeitszeit neu zu denken
    Die tradierte Trennung von Arbeit und Leben gehört auf den Prüfstand, weil sie die Lebenswirklichkeit nicht mehr widerspiegelt. Aufruf zu einem ausführlichen Diskurs.

Gastbeiträge Ausgabe #2

    Mit Top-Sharing den Rekrutierungspool erweitern? Das geht!

    durchschnittliche Lesedauer 3 Minuten

    Unser Praxisbeispiel aus Hamburg hat es gezeigt: Führungspositionen zu teilen, kann nicht nur eine Win-Win-Situation für Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen sein, sondern auch die Chancengleichheit und Diversität in Unternehmen fördern. Dieses Modell bei der Rekrutierung neuer Führungskräfte mitzudenken und vielleicht sogar zu betonen, zahlt sich daher aus. Was Personaler*innen, Geschäftsführer*innen und andere Entscheider*innen dabei beachten sollten, haben unsere Gastautorinnen Katharina Wiench und Esther Himmen zusammengefasst.

    Ist es wirklich eine gute Idee, als Arbeitgeber*in zu signalisieren, dass neben den klassischen Führungsmodellen und Karrierepfaden für Führungskräfte auch Top-Sharing (also Job-Sharing für Expert*innen und Manager*innen) angeboten wird? Ja, definitiv, denn damit kann der Rekrutierungspool umgehend erweitert werden.

    Unsere Top-Sharing-Interesse-Studie (2019) hat gezeigt: das Interesse an diesem Arbeits- und Führungsmodell ist groß – sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Wer Job- und Top-Sharing betont, spricht auch potenzielle Bewerber*innen an, die zuvor durch das klassische Auswahlraster für Manager*innen gefallen sind und sich deswegen pro-aktiv nicht beworben haben. Weil sie beispielsweise

    – kein Interesse (mehr) an einer klassischen Karriere haben

    – einzeln betrachtet vielleicht (noch) nicht alle geforderten Kompetenzen vollumfänglich erfüllen

    – oder nicht in Vollzeit für eine Managerrolle zur Verfügung stehen wollen.

    Führungs-Tandem: Wie sollten Stellenanzeigen formuliert werden?

    Was Unternehmen unbedingt als allererstes tun sollten, wenn sie offen für Job-Tandems sind: ihre  Stellenausschreibungen passend formulieren. Ein einfacher Satz reicht hier als Ergänzung der Ausschreibung schon aus. Zum Beispiel: „Diese Stelle kann auch in Teilzeit oder im Job-Sharing besetzt werden.“  Oder wenn sie es etwas persönlicher machen wollen: „Bewerbungen in Teilzeit oder im Job-Sharing sind uns sehr willkommen!“

    Führungs-Tandem: Bewerbung und Auswahlverfahren

    Natürlich ist eine Bewerbung im Tandem etwas anderes als eine Einzel-Bewerbung. Für Tandems, die sich gemeinsam auf eine Stelle bewerben möchten, gilt: Sie müssen ihre Bewerbung so gestalten, dass nicht nur jede*r einzelne Tandempartner*in mit ihren*seinen Kompetenzen und Stärken zu Wort kommt, sondern auch einen plausiblen „Businesscase“ darlegen, warum die*der neue Arbeitgeber*in gerade sie beide als Tandem und nicht eine*n einzelne*n Manager*in einstellen sollte. 

    Bewerber*innen sollten sich die Frage stellen: Wo schaffen wir als Tandem einen echten Mehrwert für das Unternehmen und die gemeinsame Rolle? Es ist übrigens hilfreich, vor einer Bewerbung schon einmal zusammengearbeitet zu haben. Falls man sich nicht schon aus einem gemeinsamen Arbeitskontext kennt, empfehlen wir, sich ein kleines gemeinsames Projekt zu suchen (das kann zum Beispiel auch im Bereich Ehrenamt sein) und sich da zu erproben. 

    Für Unternehmen, die eine Stelle mit zwei Personen besetzen wollen, die noch kein Tandem sind, ist es wichtig zu beachten, dass das Auswahlverfahren mehrdimensional erfolgen muss:

    1. Das Unternehmen sucht die neuen Mitarbeiter*innen anhand der jeweiligen Auswahlkriterien aus. 
    2. Die neuen Mitarbeiter*innen entscheiden, ob sie zum Unternehmen und zum Job passen. 
    3. Und als zukünftige Tandem-Partner*innen müssen sie bei der Entscheidung füreinander ebenfalls unbedingt ein Auswahl- und Entscheidungsrecht haben. 

    Führungs-Tandem: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

    Für die Besetzung im Top-Sharing sind prinzipiell alle Rollen auf allen Hierarchie-Ebenen in den unterschiedlichsten Branchen geeignet. Dennoch gilt es, bestimmte Bedingungen zu berücksichtigen, denn nicht jeder Mensch ist für diese Arbeitsform geeignet. Und auch auf Seiten der Unternehmen sollten bestimmte Voraussetzungen geschaffen werden, damit das Tandem auch wirklich gut funktioniert. 

    Auf Seiten der Tandems sollten folgende Dinge beachtet werden:

    – Die Tandempartner*innen müssen das letzte Wort bei der Wahl ihrer*ihres Tandempartner*in haben. Nur wenn die Chemie zwischen den beiden passt und sie sich sympathisch sind, hat das Tandem eine Chance, gut zu funktionieren. Dies ist auch eng damit verbunden, dass sie ähnliche Kernwerte und Haltungen teilen sollten.

    – Außerdem muss es darum gehen, generell einen „guten Match“ zu finden. Es sollte zwar große Überschneidungen, aber auch genügend Unterschiede zwischen beiden geben. Beides betrifft z.B. Skills, Erfahrung und Persönlichkeit. 

    – Und: Die Tandem-Partner*innen müssen eine ausgeprägte Bereitschaft zu radikaler Selbstreflektion mitbringen. Ohne die Offenheit, sich regelmäßig von ihrer*ihrem Partner*in spiegeln zu lassen und gemeinsam zu lernen, funktioniert es nicht.

    Auf Seiten des Unternehmens ist folgendes zu beachten:

    – Das Management sollte geschlossen hinter dem Job-Sharing stehen, Co-Leadership aktiv unterstützen und bereit sein, im Prozess zu lernen. Dazu gehört auch, das Job-Sharing-Angebot offen und transparent zu kommunizieren.

    – Tandems sollt eine Coaching-Begleitung angeboten werden, damit sie gut in die gemeinsame Rolle hineinwachsen und schnell Wirksamkeit entfalten.

    – Top-Sharing ist eine ganz andere, häufig noch unbekannte Art der Führung in einem Unternehmen. Die offizielle Einführung von Top-Sharing geht häufig mit einem Kulturwandel einher – und auch der sollte professionell begleitet werden.

    – In großen Unternehmen kann ein*e interne*n Ansprechpartner*in für Top Sharing-Tandems und deren Vorgesetzte Unterstützung bieten. Organisationen sollten zudem interne Initiativen fördern, bei denen sich ihre Tandems austauschen und voneinander lernen können (z. B. Roundtable, JobSharing-Lunch o. ä.).


    Autorinnen: Katharina Wiench & Esther Himmen

    Katharina Wiench & Esther Himmen sind seit 2016 selbst ein Tandem, Joint Leadership-Expertinnen und Tandem Coaches. Beide haben als Managerinnen viele Jahre Teams geführt und erfolgreich Projekte geleitet. Als Gründerinnen von Pairforming unterstützen sie Unternehmen, Tandems und Einzelpersonen, Top-Sharing erfolgreich in die Praxis umzusetzen. In ihrer Forschung leisten sie einen Beitrag dazu, besser zu verstehen, was ein gelungenes TopSharing für Unternehmen und TopSharer bringt. Ein erster Ergebnisreport ihrer aktuellen Forschungsarbeit wird Ende 2020 veröffentlicht werden. LinkedIn | Website | Instagram 

    Alternative Arbeitszeitmodelle: Außerhalb des Büros Mangelware

    durchschnittliche Lesedauer 6 Minuten

    Alternative Arbeitszeitmodelle? In manchen Branchen kann man darüber nur müde lächeln. Ich habe eine Hotelfachfrau und eine Neurologin getroffen, um mit ihnen über Vereinbarkeit zu sprechen. Die beiden haben mir geschildert, wie sich kurzfristige Dienstpläne und Schichtmodelle auf ihr Privatleben auswirken.

    Wenn wir von neuen Arbeitszeitmodellen sprechen oder mehr Möglichkeiten für Vereinbarkeit, dann denke ich eigentlich immer an klassische Büroarbeit. An Menschen, die sich mit Projekten befassen und rein theoretisch ihre Zeit selbst einteilen können. Selbsteinteilung wird nämlich oft mit Selbstbestimmung gleichgesetzt und im Allgemeinen gehen wir davon aus, dass Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit oder auch Home Office mehr Raum für Vereinbarkeit und das Leben neben der Arbeit schaffen. 

    Was in der Debatte aber oft fehlt, sind die Berufe, bei denen das gar nicht möglich ist. Es gibt Berufe, in denen eine Schicht die andere ablöst, in der der Arbeitsalltag nicht vorhersehbar ist, in denen Notfälle zum täglichen Geschäft gehören. Wie können in diesen Berufen Arbeitszeitmodelle neu gedacht und für Arbeitnehmer*innen freundlicher gestaltet werden? Um mir ein besseres Bild zu machen, habe ich mit Maria und Elisabeth gesprochen.

    Es hat mich interessiert, wie die Arbeit in einer Uniklinik und einem Krankenhaus praktisch aussieht und was für einen Einfluss sie auf den Alltag der Ausübenden haben. Die interessanteste Erkenntnis direkt vorab: beide Frauen sind Anfang 30 und arbeiten nicht mehr in den gleichen Arbeitsmodellen, in denen sie ursprünglich ihre Karriere begonnen haben. Sie haben sich aktiv nach etwas anderem umgeschaut, um mehr vom Leben außerhalb der Arbeit zu haben. Obwohl, das sagen beide auch ganz deutlich, sie in ihren Jobs und deren Aufgaben aufgegangen sind. Beim Durchlesen des Interviews scheinen Lösungen für mehr Selbstbestimmung und flexiblere Arbeitszeitmodelle auf der Hand zu liegen. Doch die Umsetzung ist häufig komplexer, als es zunächst den Anschein hat.

    Erzählt doch mal, wie sieht ein normaler Arbeitsalltag als Neurologin bzw. Hotelfachfrau aus?

    Elisabeth (Hotelfachfrau): Wenn ich im Service gearbeitet habe, ging es teilweise bereits um 5:30 Uhr mit den Vorbereitungen fürs Frühstück los. Entsprechend früh habe ich das Haus verlassen. Eine normale Schicht ging dann bis 14:00 Uhr, aber ich bin selten vor 16/17 Uhr aus dem Hotel rausgekommen, denn wer weiß schon im Voraus, wann der letzte Gast zum Mittagsgeschäft eintrifft und man die Nachbereitungen erledigen kann. Der Gast kommt natürlich immer als erstes und alles andere muss warten, bis man Zeit hat. Was hinter den Kulissen noch alles zu tun ist wird meist völlig außer Acht gelassen und die nachfolgende Schicht hat mit ihren Vorbereitungen wieder genügend zu tun, sodass keine großen Übergaben stattfinden können. Hat man eine feste Stelle an der Rezeption, sind die Arbeitszeiten etwas geregelter, aber es bleiben nach wie vor Schichtdienste. Eine 40-Stunden-Woche hatte ich eigentlich auch nie wirklich. Meistens waren es ca. 50 Stunden in der Woche.

    Maria (Neurologin): Im Arztberuf sind die Schichten sehr vom Krankenhaus und der jeweiligen Station abhängig. Grundsätzlich gibt es Früh-, Spät- und Nachtschichten. Als ich noch im Schichtdienst war, gingen viele meiner Schichten offiziell von 7:45 bis 15 Uhr, dies für eine ganze Woche, bis dann eine neue Schichtverteilung begann. Allerdings gab es wenige Tage, an denen ich wusste, wann ich die Klinik verlassen kann. Wenn um halb drei noch ein Fall reinkam, kümmerte man sich selbstverständlich um ihn. Zum Ende der Schicht gab es dann eine Übergabe mit den Ärzten der nächsten Schicht, bei der auch die Oberärzt*innen der Station ihre Entscheidungen zu den aktuellen Fällen abgaben. Wenn ich diese verpasst hätte, wüsste ich am nächsten Morgen nicht, was zur Weiterbehandlung der Patient*innen beschlossen wurde. So kam ich schnell auf 60 Arbeitsstunden in der Woche.

    Wie haben sich eure Jobs auf eure Privatleben ausgewirkt?

    Elisabeth (Hotelfachfrau): Oft war keine Zeit für anderes, denn ich musste ja am nächsten Morgen wieder früh raus. Hatte ich Spätschicht, kam es nicht selten vor, dass ich nicht vor 1 Uhr nachts Feierabend hatte. Anschließend sind wir oft noch etwas trinken gegangen und haben die Nacht zum Tag gemacht – die meisten Freunde und Bekannte waren natürlich auch aus der Gastro, denn andere hätten kein Verständnis dafür gehabt, wenn man erst zwei Stunden später zu einer Verabredung kommt. In jungen Jahren geht das, aber irgendwann wollte ich einen normalen Alltag, auch weil ich nicht mehr so gut am Tag schlafen konnte. Der ganze Biorhythmus gerät dann durcheinander. 

    Maria (Neurologin): Wie in jedem Job gab es Tage, an denen ich einfach nach Hause gekommen bin und mich aufs Sofa habe fallen lassen. Nie im Leben hätte ich eine Verabredung auf Schichtende gelegt, denn ich wäre die meiste Zeit zu spät gekommen. Es war grundsätzlich schwer einzuschätzen, wieviel Energie ich am Ende eines Dienstes noch haben werde. Das bringt der Arbeitsalltag in einer großen Klinik und der Schichtdienst mit sich.

    Im Schichtdienst wird mit Dienstplänen gearbeitet, die vorher an die Mitarbeitenden verteilt werden. Wie hat das bei euch funktioniert und wie verlässlich waren diese Pläne.

    Elisabeth:  Bei uns kamen die Schichtpläne immer eine Woche im Voraus. Für mein Privatleben bedeutet das , dass ich Verabredungen und Arzttermine nur schlecht planen konnte. Für besondere Anlässe wie Familiengeburtstage habe ich Urlaub genommen, auch wenn ich an dem Tag vielleicht sowieso freigehabt hätte. Man weiß es im Voraus einfach nicht. Natürlich können Wünsche geäußert werden, aber da kann dann schnell passieren, dass diese nicht umgesetzt werden können, weil zum Beispiel anderer Mitarbeitende krank geworden sind.

    Maria: Eine lange Zeit lang hatte ich fünf Wochen lang Dienst und dann eineinhalb Wochen frei. Immer eine Woche Früh-Spät-Nacht, dann Zwölf-Stunden-Dienste am Wochenende.Ich war damals neu in meiner Stadt und kannte niemanden. Als Ausgleich hätte ich gerne regelmäßig Sport gemacht und mich in einem Chor angemeldet, auch um Leute kennenzulernen. Aber durch die vielen Dienste konnte ich nicht zuverlässig beispielsweise jeden Mittwoch um 20 Uhr an einem festen Termin teilnehmen. Das hat mich sehr eingeschränkt. Schichtdienste rauben unglaublich viel Energie. Während der drei Jahre Schichtdienst hatte ich Schlafstörungen und habe sehr unregelmäßig gegessen. Dadurch habe ich zugenommen und war unzufrieden mit mir und meinem Körper. Beides hat sich deutlich verbessert, seitdem ich regelmäßige Arbeitszeiten habe.

    Wie waren die Rahmenbedingungen des Jobs? Blicken wir vielleicht erst einmal auf das Gehalt.  

    Maria: Das Gehalt ist bei uns Ärzt*innen bekanntermaßen sehr gut. Wir müssen davon zwar unsere Krankenversicherung komplett selbst zahlen, aber man kann sich wirklich nicht beschweren. Das gibt für die Zeiten außerhalb der Arbeit finanzielle Flexibilität und man kann sich auch regelmäßig belohnen, beispielsweise mit einem tollen Urlaub oder einem guten Essen.

    Elisabeth: Gehalt in der Gastro ist immer ein Thema. Möchte man in diesem Job wirklich alt werden und eine Familie gründen, muss sich auch hier etwas ändern. Ohne einen verlässlichen Partner könnte man Kinder weder zeitlich noch finanziell sorgenfrei großziehen. Und wenn, wie in meinem Fall, die Familie nicht mal in der Nähe wohnt hat man eigentlich keine Chance.

    In Deutschland müssen mindestens elf Stunden Ruhezeit eingehalten werden, bevor Arbeitnehmende ihre Tätigkeit wieder aufnehmen dürfen. War dies in eurem Fall immer gegeben?

    Ξ Was sagt das Gesetz? Einen arbeitsrechtlichen Überblick zu den wichtigsten Arbeitszeit-Bestimmungen gibt Mareike

    Maria: Besonders bei den Zwölf-Stunden-Schichten am Wochenende war das schwer. Die Übergabe erfolgt immer nur an eine*n Kolleg*in und dies passiert in der Regel nach offiziellem Schichtende. Hatte ich an einem Sonntag erst um 22/23 Uhr Schluss, musste ich trotzdem häufig am Montag wieder um 7:45 vor Ort sein. Das hat sich heute aber zumindest in unserem Haus etwas verbessert.

    Elisabeth: In der Gastronomie sind es sogar nur 10 Stunden. Auf jeden Fall war das damals so. Da wir teilweise aber 12 bis 13 Stunden gearbeitet haben, war das häufig nicht möglich. Das wird generell stillschweigend hingenommen. Sollten Mitarbeitende diesen Missstand mal ansprechen, würde man ihnen sagen, dass sie sich den falschen Job ausgesucht haben.

    Wie halten Menschen das auf Dauer aus?

    Elisabeth: Gar nicht. Ich habe Fälle gesehen, in denen es bereits in der Frühschicht mit einem Glas Sekt los ging – jeden Morgen. Abends wird bereits während der Schicht getrunken und auch Drogen sind in der Branche nichts Unübliches. Ich wüsste auch nicht, wie das anders auszuhalten wäre. In leitenden Positionen ist es vielleicht noch einfacher. Wenn beide Partner*innen im Schichtdienst arbeiten, können sie sich jeweils so einteilen, dass immer jemand die Kinder betreuen kann. Dann bleibt die Beziehung aber ganz schön auf der Strecke.

    Maria: Die Schichten werden mit der Zeit besser. Bei jungen Ärzt*innen wird davon ausgegangen, dass sie keine Familie haben und deshalb diesen Lebensstil fahren können. Später werden Arbeitszeiten regelmäßiger oder man sucht sich ein Feld, in dem mehr Vereinbarkeit möglich ist.

    Warum habt ihr so lange unter diesen Umständen gearbeitet?

    Elisabeth: Mir hat der Job großen Spaß gemacht. Ich hatte immer tolle Kolleg*innen und viel Abwechslung im Alltag. Ich wäre nicht neun Jahre geblieben, wenn ich mich nicht wohlgefühlt hätte. Mein Fokus im Leben hat sich irgendwann verändert, dann war es Zeit für einen Wechsel.

    Maria: Menschen geht es auf Grund meiner Arbeit besser oder wenigstens weniger schlecht. Das ist für mich der Grund und Antrieb für meine Arbeit. Natürlich geht es mir jetzt besser als noch vor einem Jahr im Schichtdienst. Es gab Zeiten, in denen ich sehr mit dem Arztberuf gehadert habe. Aber ich bin dankbar für die Erfahrungen. Hier an der Uniklinik habe ich an Fällen gearbeitet, die ich in anderen Häusern nie gesehen hätte. Ich baue eine Expertise und ein Fachwissen auf, was nur bei Maximalversorgern möglich ist, dafür nimmt man die Einbußen in Kauf. Und ich wusste immer, dass es nicht auf Dauer so weiter geht. Die Facharztausbildung ist lang, aber danach hat man bessere Schichten und mehr Vereinbarkeit ist möglich.

    Wie stellt ihr euch eure Zukunft vor?

    Elisabeth: Ich würde theoretisch wieder zurück in meinen Ausbildungsberuf als Hotelfachfrau gehen, aber dann müssen meine Kinder groß sein und es müsste sich am Gehalt etwas ändern. Im Augenblick wüsste ich nicht, wie wir das sonst managen sollten, Mein Freund ist selbstständig und der Kindergarten macht jeden Tag um 17 Uhr zu. Da kann ich doch keine 12-Stunden-Schichten schieben.

    Maria: Ich weiß es noch nicht. Erst mal muss ich meinen Facharzt fertig machen. Danach könnte ich mir eventuell vorstellen, in Teilzeit zu arbeiten. Als Ärztin brauche ich auf jeden Fall einen Partner, der flexibler ist als ich und auch mal zurückstecken kann, zumindest zeitlich. Aber wo ich mal beruflich lande, weiß ich noch nicht genau. Auf jeden Fall nicht als Chefärztin in einer Klinik. Das ist sicher.  

    Abschließend zusammengefasst- was sind die größten Probleme in der Arbeitszeit und wie könnten sie verbessert werden?

    Elisabeth: Die Schichtpläne kommen sehr kurzfristig, das ist einfach unflexibel. Wenn sie wenigstens zwei Wochen vorher kämen, wäre das eine große Hilfe. Zudem ist die Personaldecke in der Gastro oft sehr dünn, wenn da mal jemand krank ist, deckt der Rest das ab. Oft ist das mit deutlich mehr Stress und zeitlichem Aufwand verbunden. Da kann einfach keine Rücksicht auf persönliche Bedarfe genommen werden.

    Wir leben eben in einer schnelllebigen Welt. Menschen entscheiden sich von einem Tag auf den anderen dazu spontan wegzufahren, einen Tagungsraum zu buchen etc. Hotels leben von einer hohen Auslastung, können aber nicht immer entsprechend besetzt werden. Die Kurzfristigkeit in der Planung der Gäste spiegelt sich in unseren Schichtplänen wider.

    Maria: Schichtdienste sind zehrend und verlangen Ärzt*innen viel ab. Auch hier spüren wir den Ärzt*innenmangel und es wäre schön, die Last auf mehrere Schultern zu verteilen. Wir haben mal unser Schichtsystem überdacht, aber wir hatten einfach zu wenige Assistenzärzt*innen. Im Idealfall arbeitet mehr Personal in kürzeren Schichten. Das führt wiederum dazu, dass Informationen zu den Patien*innen verloren gehen und sich dies negativ auf deren Versorgung auswirken kann. Und die beste Patient*innenversorgung steht im Klinikalltag immer im Vordergrund.

    12 Möglichkeiten, Teilzeitkräfte zu unterstützen

    durchschnittliche Lesedauer 4 Minuten

    Schlechtes Image, Mütter-Abstellgleis, Altersarmut – in meinem Artikel “Frauen in der Teilzeit-Falle” habe ich ein Dilemma beschrieben, auf das der Arbeitsmarkt noch zu wenige Antworten hat: Frauen, die viel Care-Arbeit innerhalb ihrer Familie oder innerhalb der Gesellschaft übernehmen, werden damit oft mit einem erhöhten Risiko der Altersarmut und fehlenden Karrierechancen bestraft. Was ich aber angedeutet habe: Das Konzept von Teilzeit bietet für alle von uns die große Chance, nur so viel Zeit mit Erwerbstätigkeit zu verbringen, wie es notwendig und/oder gewünscht ist. In diesem Sinne: Genug vom Problem erzählt – schauen wir doch nun lieber, auf welche Weise Führungskräfte im Arbeitsalltag dem schlechten Image der Teilzeit entgegenwirken und welche Rahmenbedingungen Teilzeitkräfte unterstützen können.

    Bevor ich zwölf kleine und große Möglichkeiten skizziere, noch eine kurze Antwort auf die Frage “Warum soll ich Teilzeit überhaupt fördern, was hab ich als Arbeitgeber*in denn davon?” Auf den ersten Blick: mehr Arbeit in der Personalabteilung und erhöhte Kosten. Denn ja, mit jedem*jeder Beschäftigten mehr in der Firma kommen auch Aufgaben in den Bereichen Mitarbeiter*innensuche, Mitarbeiter*innenbetreuung, Lohnabrechnung und Interne Kommunikation hinzu. Was allerdings auch hinzukommt: ein weiteres Talent. 

    Jede*r Beschäftigte hat einen individuellen beruflichen Weg hinter sich, auf dem er*sie Kontakte und Fähigkeiten gesammelt hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass auf alltägliche Fragen im Betrieb eine Antwort gefunden wird, erhöht sich mit jedem Mitglied der Belegschaft. 

    Die Wahrscheinlichkeit, dass auf alltägliche Fragen im Betrieb eine Antwort gefunden wird, erhöht sich mit jedem Mitglied der Belegschaft.

    Außerdem sind sechs motivierte Mitarbeiter*innen, die vier Vollzeitstellen unter sich aufteilen, in der Regel erfolgreicher und gesünder als vier unzufriedene, die jeden Tag frustriert darüber sind, neben der Arbeit keine Zeit für andere Interessen und Aufgaben zu haben. Ich vermute, dass die Kosten, die Krankheitstage und Fluktuation verursachen, zurückgehen, wenn man mehr Mitarbeiter*innen für einige Monate oder auch dauerhaft Zeitmodelle ermöglicht, die er*sie gerade besonders gut brauchen kann. Und dass man mehr Fachkräfte findet, wenn man als Firma Offenheit für verschiedene Zeitmodelle zeigt. 


    Diese Vermutung wird gestützt durch Ergebnisse unserer in diesem Sommer durchgeführten Umfrage. 87 % der befragten Führungskräfte, in deren Organisation selbstbestimmtes flexibles Arbeiten gelebt wird, erleben positive Auswirkungen dieser Arbeitsform. 33,9 % sagen beispielsweise, dass die Krankheitsrate gesunken ist. Mehr als die Hälfte erlebt einen gestiegenen Ideenreichtum und rund 3 von 4 Personen erleben das Betriebsklima als deutlich verbessert.

    Last but not least – und da sind wir beim wichtigsten Punkt – ist es eine Frage der Haltung. Wie bewerte ich als Führungskraft, Geschäftsführer*in, Eigentümer*in meine Verantwortung für das Unternehmen und die Menschen, die in ihm arbeiten? Wem Geschlechterungerechtigkeit unbekannt, die Bedürfnisse von Mitarbeiter*innen egal und die Liebe zum Gärtnern oder anderen kraftspendenden Hobbies unbekannt ist, der zuckt vielleicht mit den Achseln und stellt weiterhin ausschließlich Mitarbeiter*innen ein, die 40+Wochenstunden erreichbar, vor Ort und im Einsatz sind.

    Für alle anderen, die Diversität in Teams fördern, Karmapunkte sammeln und wirtschaftlich zukunftsfähig bleiben wollen, sind die folgenden Tipps gedacht  

    So fühlen sich Teilzeit-Kräfte ernstgenommen

    • Schaffe eine teilzeitfreundliche Besprechungskultur

    Lege Besprechungen, die für eine Teilzeitkraft relevant sind, so, dass sie in Ruhe daran teilnehmen kann. Tag und Uhrzeit sollten so gewählt sein sind, dass der*die Kolleg*in a) überhaupt im Haus ist und b) vorher und nachher noch Dienstzeit hat. Nichts ist schlimmer für jemanden, der ohnehin immer die Zeit im Nacken hat, als zu Besprechungen zu hetzen bzw. sie früher verlassen zu müssen. Ein bisschen Zeit zur Vor- und Nachbereitung sollte jede*r haben. Am besten setzt Du Dich mit Deinem Team zusammen und ihr definiert gemeinsam Zeitfenster, in denen das realisierbar ist. Und künftig werden Arbeitstreffen ausschließlich in diese Zeiträume gelegt. Sätze wie „Könntest Du nicht ausnahmsweise morgen doch länger bleiben? Die Besprechung ist echt wichtig.“ sind inakzeptabel und respektlos.

    • Streiche das Wort „nur“

    Frau Schmitz arbeitet nur 25 Stunden. Herr Böttcher ist nur dienstags, mittwochs und donnerstags im Haus. Was für einen großen Unterschied drei kleine Buchstaben doch machen können. Übe, das Wort „nur“ beim Sprechen über Kolleg*innen in Teilzeit zu streichen. Und reagiere auch regulierend, wenn eine Teilzeitkraft selbst mit diesem Wort über seine*ihre Arbeit spricht.

    • Achte auf das richtige Arbeitspensum

    Häufig erhalten Teilzeitkräfte mehr Aufgaben als sie in der regulären Arbeitszeit schaffen können – jedenfalls wenn sie zwischendrin auch mal eine notwendige Verschnaufpause machen oder in Ruhe mit Kolleg*innen sprechen wollen. Das Ende vom Lied: Entweder türmen sich viele Überstunden auf oder die Teilzeitkraft ist konsequent überlastet. 

    • Achte auf den Arbeitsinhalt

    Nur weil ein Teammitglied Stunden reduziert, reduziert sich nicht auch seine*ihre Kompetenz und sein*ihr Gestaltungswille. Überlasse auch Teilzeitkräften einen ihren Fähigkeiten entsprechenden Verantwortungsbereich. So eignen sich Projektarbeiten beispielsweise viel besser für Menschen mit reduzierter Wochenstundenzahl als administrative Tätigkeiten. Weil sich Projekt-Meilensteine beispielsweise besser und selbstbestimmter auf die eigene Arbeitszeit verteilen lassen als alltägliche Kundenanrufe.

    • Ermögliche Teilzeitkräften Fortbildungen

    Seminare und Weiterbildungen werden häufig auf der Basis von 8-Stunden-Tagen geplant. Finde dazu Alternativen, die auch Teammitgliedern mit weniger Stunden die Weiterbildung möglich machen.

    • Organisiere einen guten Informationsfluss

    Wo finden Teilzeitkräfte Informationen aus der Zeit ihrer Abwesenheiten? Sind Ergebnisprotokolle schnell verfügbar? Gibt es eine Routine, durch die auch Teilzeitkräfte sich immer auf dem neuesten Stand fühlen? Es gibt hier weder eine eindeutige Bring- noch eine Holschuld. Teams müssen im Sinne aller schauen, wie sie sich in diesem Punkt organisieren.

    • Schaffe diversere Modelle

    Teilzeit bedeutet eben nicht automatisch nur 20-25 Wochenstunden. Es gibt vollzeitnahe Teilzeit, befristete Teilzeit… Zeige in Mitarbeiter*innengesprächen auf, welche Modelle bereits im Unternehmen gelebt werden bzw. grundsätzlich möglich sind.

    • Etabliere Job- und Top-Sharing

    Ihr habt eine Leitungsstelle ausgeschrieben, auf die sich hochqualifizierte Bewerber*innen gemeldet haben, die allerdings nicht Vollzeit arbeiten wollen? Dann prüfe, ob ein Top-Sharing möglich ist, sich also zwei Bewerber*innen eine Stelle teilen können. Und auch auf allen anderen Organisationsebenen können Job-Tandems eine wunderbare Chance sowohl für die Angestellten als auch für das Unternehmen. Unser aktueller Leitartikel zum Top-Sharing bei HAMBURG WASSER zeigt, wie man diese Chance bestmöglich nutzt.

    • Ermutige Männer für Teilzeit

    Spätestens wenn ein Mann zaghaft darüber nachdenkt, Stunden zu reduzieren, solltest Du ihn ermutigen, das auch zu tun. Ganz grundsätzlich gilt: Teilzeit darf kein Mutti-Abstellgleis mehr sein.

    • Signalisiere in Stellenanzeigen Offenheit

    Warum ist es notwendig, sich in einer Stellenanzeige schon für Voll- oder Teilzeit zu entscheiden? Formuliere Jobangebote so, dass sie für möglichst viele Varianten Offenheit signalisieren. 

    • Sei Vorbild

    Kein innovativer, aber immer noch der wichtigste Tipp. Vielleicht gibt es in Deinem Leben demnächst eine Herausforderung, die Du mit reduzierter Stundenzahl noch besser meistern könntest. Dann tu das doch einfach mal für einen kleinen Zeitraum und zeige Deinem Team damit, dass das in Ordnung ist. Und selbstverständlich ist es für Dich ein absolutes NoGo, flapsige Bemerkungen über eine Teilzeitkraft kommentarlos hinzunehmen oder gar mitzuschmunzeln. Zeige deutlich, dass die Wertschätzung für Kolleg*innen unabhängig von ihrer Wochenzahl ist.


    Vor einiger Zeit habe ich mit unserem  Teammitglied Mariele Müller in einem IGTV ausführlich über Teilzeit sinniert und diskutiert. Hier das aufgezeichnete Video: