Fürsorgearbeit, Magazinausgabe #2
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Die Falle schnappt zu: Frauen in Teilzeit

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„Teilzeit“ – bei diesem Wort bekomme ich inzwischen richtig schlechte Laune. Wo es auftaucht, sind Gender-Ungerechtigkeiten, Benachteiligungen und finanzielle Not nicht weit. Dabei bietet das Konzept von Teilzeit eigentlich eine große Chance für sämtliche Arbeitnehmer*innen, nur so viel Zeit mit Erwerbstätigkeit zu verbringen, wie es notwendig und/ oder gewünscht ist. In Wahrheit haben wir aber selten eine echte Wahl. Schon gar nicht, wenn wir Frauen sind.

Das Dilemma beginnt mit einem Imageschaden. Während Menschen, die in Vollzeit arbeiten, als leistungsfähig, ambitioniert und Norm erfüllend gelten, erscheinen in Teilzeit arbeitende Beschäftigte irgendwie… unvollständig. Als würden die fehlenden Stunden automatisch mit weniger Kompetenz, weniger Erfolgswillen und weniger Zuverlässigkeit einhergehen. Dabei bedeutet Teilzeit einfach nur, dass ein*e Angestellte*r weniger Wochenstunden erbringt als die im jeweiligen Unternehmen definierte Vollzeit. Teilzeitjobs können also fünf Stunden umfassen oder auch 38,5. Im letztgenannten Falle spricht der Arbeitsmarkt von „vollzeitnaher Teilzeit“. Was gleich weniger unvollständig, irgendwie verzeihbarer klingt.

Büropräsenz als Erfolgsfaktor: Eine Rechnung, die ohne Mettbrötchen gemacht ist

Die Unterscheidung zwischen Voll- und Teilzeit, sie macht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft auf, die jedoch nur eins im Blick hat: Büropräsenz. Demnach sind Erfolg und Leistung untrennbar mit der Wochenstundenzahl verbunden. Ein für mich stets irritierender Zusammenhang –  habe ich in meiner beruflichen Laufbahn doch durchaus einige Menschen dabei beobachtet, wie sie ihre 40-Stunden-Woche überwiegend mit dem Beseitigen von selbstverursachtem Informations-Chaos oder in der Teeküche mit Mettbrötchen in der Hand verbracht haben. Gleichzeitig sind mir 20-Stunden-Kolleg*innen begegnet, auf die ich mich blind verlassen und deren Gedanken ich immer schnell verstanden habe. 

Nicht falsch verstehen: Mettbrötchen mit Kolleg*innen zu essen oder andere Kopf freipustende Momente in den Arbeitstag zu integrieren, ist wichtig. Total wichtig sogar, um nicht auszubrennen und eine gute Arbeitsatmosphäre zu bewahren. 

Umso gravierender ist es ja auch, dass sich Teilzeitkräfte diesen Müßiggang in der Regel verkneifen (müssen) – aufgrund der gesetzlichen Regelung, dass es erst bei einer Arbeitszeit von über sechs Stunden einen Pausenanspruch gibt. Aber auch, weil das schlechte Gewissen, sowieso „nur“ einige Stunden am Tag bzw. nicht alle Tage in der Woche vor Ort zu sein, groß und die tickende Uhr in Richtung Dienstschluss nicht zu überhören ist. Ich schreibe bewusst „Dienstschluss“, denn für die die meisten Teilzeitkräfte ist am Ende des Jobtages noch lange nicht Feierabend. Oft warten Care-Arbeit oder andere Verbindlichkeiten.

Männer gehen selbstbestimmt in Teilzeit. Frauen nicht.

Teilzeitkräfte sind in den meisten Fällen Frauen, in den allermeisten Mütter. 29,2 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland arbeiten in Teilzeit – nur jeder fünfte davon ist ein Mann. Blickt man auf Frauen, so gehen 76 Prozent von ihnen einer Erwerbstätigkeit nach, ungefähr jede zweite von ihnen arbeitet Vollzeit. Sobald aus einer berufstätigen Frau jedoch eine berufstätige Mutter wird, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie weiterhin Vollzeit arbeitet erheblich: 72,6 Prozent der erwerbstätigen Mütter  mit Kindern unter 6 Jahren hatten 2019 einen Teilzeitjob. Bei den Vätern sind es 6,9 Prozent.https://www.instagram.com/p/CEGrSxhqkqV/

Während die Gründe, Stunden zu reduzieren, bei Frauen in der Regel fremdbestimmt sind, wählen Männer diese Option fast immer freiwillig. Persönliche oder familiäre Pflichten sind nur für jeden zehnten Mann ein Motiv, Vollzeit gegen Teilzeit zu tauschen. Der häufigste Grund bei ihnen: die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungen. (Quelle mit weiteren spannenden Fakten: Demographie-Portal)

In Euros formuliert: Männer nutzen die Teilzeit, um ihrem beruflichen Werdegang einen zusätzlichen Schub zu geben und erhöhen damit ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt und ihre finanzielle Absicherung. Frauen mit Kindern oder Pflegeaufgaben hingegen verringern ihre Chancen, verantwortliche Positionen weiterführen bzw. finden zu können, bekommen entsprechend weniger Lohn und haben außerhalb des Jobs keine Möglichkeit, diese Delle im Lebenslauf und in den Rentenbeiträgen auszugleichen.

Der Gender Pay Gap steigt nicht durch Zufall ab dem Alter von 30 Jahren, dem Zeitpunkt, wo aus vielen Paaren eine Familie wird, stark an. Die in einigen Branchen mit Teilzeit einhergehenden geringeren Stundenlöhne und die fehlenden Aufstiegschancen in Teilzeit tragen erheblich bei.

Angst vor Altersarmut – ein gefundenes Fressen für Marketingabteilungen

Diese Situation ist alles andere als ein Geheimnis. Es gibt sogar Organisationen, für die sie als Ausgangspunkt für Marketingaktivitäten dienen. Die Sparkasse Bad Kissingen schrieb seinen Kundinnen jüngst folgende Zeilen:

„Reicht die Rente für einen unbeschwerten Ruhestand? Gerade Frauen sollten sich mit dieser Frage befassen. Denn statistisch betrachtet leben sie länger als Männer, brauchen also mehr Geld. Doch sie haben meist geringere Rentenansprüche, sei es wegen Kinderzeiten oder Teilzeitjobs. Aber auch, weil sie heute weniger verdienen als Männer in gleicher Position. Am besten machen Sie jetzt Ihren persönlichen Vorsorge-Check! Wir beraten Sie individuell über Ihre passenden Vorsorgelösungen. Gemeinsam sorgen wir dafür, dass Sie Ihr langes Leben mit mehr Freiheit genießen können.“

Das muss man erst mal sacken lassen. Was vermutlich als serviceorientierter Reminder gedacht ist, feuert die berechtigte Angst von Frauen vor Altersarmut noch an. Hey Sparkasse Bad Kissingen und alle Organisationen, die das gesellschaftliche Leben mitgestalten, ein Vorschlag: Wie wäre es denn, wenn ihr auf solche Werbeschreiben verzichtet und die Zeit lieber nutzt, Euch für eine Beseitigung des Gender Pay Gaps und für mehr Männer in Care-Arbeit stark zu machen, damit Frauen schon vor der Rente ihr Leben ohne Angst vor der Zukunft genießen können?

Mental Load: Rentenplanung trifft Geschenkpapier trifft Dienstplan

Das oben zitierte Schreiben ist überdies ein gutes Beispiel dafür, wie der tägliche Mental Load vor allem für Frauen nie zu enden scheint. ”Mental was?” Mental Load! Ein Begriff, der auf den Punkt bringt, dass das Mittwochnachmittags-ToDo “Kind zum Kindergeburtstag bringen” keines ist, das am jeweiligen Mittwochnachmittag binnen einer halben Stunde erledigt ist. Stattdessen ist es verbunden mit einem privaten Projektmanagement, das damit beginnt, herauszufinden, was das Geburtstagskind sich wünscht, um diesen Wunsch mit einem entsprechenden Kauf dann zu erfüllen. Wohl dem, der*die sofort weiß, wo es vorrätig ist bzw. wie es rechtzeitig zu bestellen ist. Im besten Fall wird das Geschenk im Laden bereits verpackt, im schlechtesten steht man am Mittwochmittag nach der Arbeit mit dem eigenen vorfreudigen Kind an der Seite im Abstellraum und stellt fest, das dort kein einziges Stück buntes Papier zum Verpacken mehr vorrätig ist. Und man die Gummistiefel sowie die Matschhose, die für die verregnete Schatzsuche des heutigen Kindergeburtstags gebraucht werden, leider in der Kita vergessen hat. 

Ja, Zeitungspapier, ein nicht abgesprochenes Geschenk und nasse Füße haben noch keinen Kindergeburtstag gesprengt, alles kann auch in solch einer Situation noch gut werden. Das Beispiel soll aber eines verdeutlichen: Die Köpfe von Menschen, die sowohl für eine Erwerbstätigkeit als auch hauptverantwortlich für familiäre Care-Arbeit zuständig sind – also von einer Reihe der Teilzeitkräften – jonglieren den ganzen Tag kleine und große ToDos. Wer Interesse hat, mehr über Mental Load zu erfahren, dem*der empfehle ich übrigens eindringlich das gleichnamige Buch von Patricia Cammerata. Es ist nicht ironisch gemeint, wenn ich schreibe, dass dieser Titel durchaus als Weiterbildungslektüre für Führungskräfte gelten sollte. Oder ein wertvolles Geschenk an Mitarbeiter*innen (vor allem die männlichen) sein könnte, sobald von diesen über eine Schwangerschaft berichtet oder der Antrag auf Elternzeit vorgelegt wird.

Wer sowohl im Job als auch im Privaten zuverlässig unterwegs sein möchte, hat im kopfeigenen Browser stets unzählige Tabs offen. In einigenwirbeln Überlegungen zu den beruflichen Projekten, zu notwendigen Absprachen und noch zu vereinbarenden Terminen umher, in den anderen die Essensplanung, der Einkaufszettel, das fehlende Rezept für Schwiegermutters Gehhilfe – und der überfällige Termin bei der Bank, um endlich die Rentenplanung zu optimieren.

80% Gewinn, nicht 20 % Verlust

Zu Beginn dieses Artikels habe ich die Zwei-Klassen-Gesellschaft bemängelt, die unsere Arbeitswelt unausgesprochen zwischen Voll- und Teilzeitkräften aufmacht. Vielleicht entgegnet Ihr als Leser*innen mir nun empört, dass ich es nun selber tue. Indem ich arme  geplagte Teilzeitkräfte und Mettbrötchen essende, im Haushalt abends keinen Finger krummmachende Vollzeitkräfte gegenüberstelle. Diesen Dualismus gibt es natürlich nicht!

Ebensowenig ist es allein die Verantwortung von Arbeitgeber*innen, Mütter von Mental Load zu befreien und ihnen täglich das Gefühl zu vermitteln, dass man sie als Arbeitskraft respektiert. Das sind tief verwurzelte Probleme, die auch innerfamiliär, in der Politik und mit sich selbst geklärt werden müssen.

Die Arbeitswelt ist jedoch ein großer Teil unseres Lebens, der Vorstellungen und Ansprüche prägt. Unternehmen können daher mit gutem Beispiel voran gehen. Indem sie das Image von Teilzeit positiv verändern (darüber habe ich im Artikel “Zwölf Tipps, wie Teilzeit salonfähig wird” geschrieben) und Empathie für die Situation für Teilzeitkräfte erhöhen. Um es mit den Worten einer nine to life-Followerin zu sagen: “Ich wünsche mir, dass man mich als 80% Gewinn anstatt 20 % Verlust ansehen würde.”


Vor einiger Zeit habe ich mit unserem  Teammitglied Mariele Müller in einem IGTV ausführlich über Teilzeit sinniert und diskutiert. Hier das aufgezeichnete Video:

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Eltern können keine verantwortungsvolle Position ausüben und gleichzeitig ihr Familienleben jongliere? „Von wegen!” meint Sandra. Wenn Unternehmen entsprechende Rahmenbedingungen bieten, klappt das ihrer Ansicht nach ganz wunderbar. Bei nine to life macht die Bremer Kommunikationsexpertin Bedürfnisse berufstätiger Eltern sichtbar, gibt Gedankenanstöße, wie Organisationen ihren Arbeitsalltag familienfreundlicher gestalten können, und widmet sich dem Thema Mentaler Gesundheit. Außerdem verantwortet sie die Projektkommunikation. LinkedIn | Instagram | Website

5 Kommentare

  1. Katja sagt

    Sehr wahr.
    Und was man auch nicht vergessen darf, sind die durchaus “witzig gemeinten” Kommentare der Kolleg:innen. Sowas wie “Ach ja, Du bist dann ja nicht da!” (weil es nicht der Arbeitstag ist…) oder “Du hast ja Morgen frei, wie schön!” (und man denkt nur: Ja, habe ich. Aber ich erledige dieses und jenes und habe eben nicht “frei” und selbst wenn… ich verdiene ja auch nur die Hälfte!) oder, bei uns der Klassiker “Naja, wegen der ganzen Teilzeitkräfte müssen wir unsere Urlaubsplanung anders machen!” (Weil zwei Vollzeitkräfte ein ganzes Team vertreten müssen usw.)
    Es fängt im Kleinen an und erfordert manchmal ein dickes Fell.
    Persönlich kommt bei mir immer das schlechte Gewissen hinzu, wenn das Kind mal krank ist (und ich “NOCH WENIGER” arbeiten kann), oder ich halt einfach an zwei Tagen der Woche gar nicht da bin. Und ich arbeite in einem sozialen Beruf, mit eigentlich sehr verständnisvollen Kolleg:innen. Wie es da in manch anderen Branchen aussieht, das mag ich mir gar nicht vorstellen.
    Unsere Gesellschaft hat da wirklich noch einiges aufzuholen!

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