Fürsorgearbeit, Magazinausgabe #2
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“Mit 20 Stunden-Jobs kann ich meine Familie nicht ernähren”

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Von Netto-Gehältern, die Teilzeitjobs mit geringen Arbeitswochenstunden abliefern, können Alleinerziehende keine Familie ernähren – das weiß Gastautorin Luisa Hanke allzu gut. Sie  hat in den vergangenen acht Jahren als Alleinerziehende ein Masterstudium absolviert sowie unterschiedliche Jobs – von der Anstellung als Assistentin bis zur Führungsposition und der Selbstständigkeit – ausgeübt und dabei diverse Arbeitsmodelle erprobt. In diesem Artikel wirft sie einen Blick zurück und teilt ihre wichtigsten Erkenntnisse. Unter anderem gibt sie Hinweise, wie Arbeitgeber*innen bessere Rahmenbedingungen für Alleinerziehende gewährleisten können.

Was ich mir für Alleinerziehende wie mich wünsche? Anspruchsvolle vollzeitnahe Jobs mit 30 bis 35 Wochenarbeitsstunden, die faire Gehälter generieren und eine flexible Gestaltung von Arbeitszeiten und -orten ermöglichen. Nur so können Vereinbarkeit und finanzielle Sicherheit für Alleinerziehende besser funktionieren. 

Wir müssen über Geld reden!

Erfüllung und Erfolg im Beruf bedeutet für mich, anspruchsvoll zu arbeiten, aber natürlich auch entsprechend meiner Leistungen fair entlohnt zu werden, um meine Familie ernähren können. Die alleinige finanzielle Verantwortung zu tragen stellt eine immense Belastung für Alleinerziehende dar, die mitunter anhaltenden Stress auslösen kann. 

Mein Gehalt muss nicht nur die monatlichen Fixkosten decken, sondern vor allem auch kleine Rücklagen bilden und meinem Kind Teilhabe, Bildung und Förderung sowie schlichtweg die Erfüllung von Wünschen zu ermöglichen. Klappt das nicht, verspüre ich als Alleinerziehende großen Druck, Unzufriedenheit und sogar Zukunftsangst. Ich verliere das ermächtigende Gefühl von Selbstwirksamkeit und misse wertvolle Erfolgserlebnisse. 

Wir leben in einem System, dass Wertschätzung, Erfolg und Sicherheit monetär abbildet. Natürlich möchte ich auch in diesem System repräsentiert sein. Ich möchte von meinem Gehalt mich und meine Familie gut versorgen können. Von einem 20-Stunden-Job der mit netto 1.400 Euro im Monat bringt, gelingt mir das nicht. Solange von steuerlichen Vorteilen nur Eheleute, nicht aber Familien profitieren, kommt für mich und viele andere Alleinerziehende nur ein vollzeitnaher Job in Frage, der mir die notwendigen finanziellen Ressourcen bietet.

Vollzeit(nahe) Arbeit flexibel gestalten

Eine Vollzeit(nahe)-Tätigkeit – sofern sie bedeutet, in starren Strukturen zu arbeiten – kam für mich nie in Frage, auch wenn ich auf das dadurch generierte Gehalt angewiesen war. Denn dieses Modell steht meinem persönlichen wertebasierten Ziel, meiner Tochter ein aufmerksamer und präsenter Elternteil zu sein, entgegen. Wie bei vielen Alleinerziehenden bin ich der einzige Elternteil, den sie tatsächlich im Alltag um sich hat. Daher lehne ich es ab, meine Tochter täglich von 8 bis 18 Uhr fremd betreuen zu lassen. 

Wie also können wir Vollzeit(nahe)-Arbeit so gestalten, dass sie Alleinerziehende finanziell absichert, inhaltlich erfüllt und die nötige Flexibilität bietet, um Familie zu leben und sich immer wieder zu regenerieren und so langfristig belastbar zu sein?

  • Unternehmen können familienfreundliche Vollzeit anbieten

Dieses Modell bietet eine eigenverantwortliche Aufteilung der Arbeitszeit außerhalb einer festgelegten Kernarbeitszeit (beispielsweise von 9 bis 15 Uhr). Mit diesem Modell kann ich bereits ein großes Arbeitspensum abdecken, Erreichbarkeit garantieren und die offene Arbeitszeit eigenverantwortlich einteilen, was eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht.

  • Mitarbeitende sollten fragmentiert arbeiten können

Diese Möglichkeit habe ich immer genutzt. Je nach Bedarf zwei bis dreimal die Woche von 20 bis 22 Uhr oder bei steigendem Alter und späteren Schlafenszeiten meiner Tochter in den frühen Morgenstunden von 5 bis 7 Uhr. Idealerweise lässt sich die frühe Arbeitszeit mit anschließendem Home Office kombinieren. Wenn ich diese zusätzliche Arbeitszeit an zwei Tagen in der Woche fest integriere, kann ich ein hohes Stundenkontingent absolvieren und aufgrund der Planbarkeit gleichzeitig auf meine Kraftressourcen achten.

  • Homeoffice für mehr Arbeitszeit nutzen

Mindestens zwei Tage Home Office pro Woche bescheren mir mindestens vier zusätzliche Stunden wöchentliche Arbeitszeit. Ich spare nicht nur die Fahrtzeit, sondern ebenso Zeit und Energie, die ich investiert hätte, um bürotaugliche Garderobe zu planen und mich herzurichten. Außerdem ermöglicht mir die Arbeit im Home Office ungestörte Deep Work-Phasen, in denen ich konzentriert Aufgaben abarbeiten kann. Werden gleichzeitig Meetings ressourcenschonend geplant und an beispielsweise ein bis zwei Tagen die Woche gebündelt, gibt es genügend Meeting-freie Tage, um anspruchsvolle Aufgaben ohne einschneidende Unterbrechungen abzuarbeiten.

  • Mit kürzeren und längeren Arbeitstagen Ausgleich schaffen

Ein bis zwei lange Arbeitstage pro Woche ermöglichen es Alleinerziehenden auf eine vollzeitnahes Stundenkontingent zu kommen. Teilzeitmodelle, in denen ich jeden Tag um Punkt 15 Uhr Schluss mache, sind für mich belastend. Sie geben mir oft nicht die Möglichkeit, Aufgaben in einem Tag abzuarbeiten oder mich in der Tiefe in Lösungen hineinzudenken. Das Gefühl, die Fertigstellung von Aufgaben immer wieder auf den kommenden Tag zu schieben kann zur Belastung werden. Gerade wenn auf einen kurzen Arbeitstag noch Meetings fallen, ist es wertvoll, neben einer Pause zur Regeneration, mindestens weitere drei bis vier Stunden zum ungestörten Abarbeiten nutzen zu können.

Durch lange Arbeitstage kann ich wiederum an anderen Tagen verkürzt arbeiten und freie Zeit für die Familie oder für wichtige Erledigungen nutzen. In Familien mit zwei Elternteilen können all die anfallenden familiären To Dos an eine*n Partner*in abgegeben werden, bleiben jedoch bei Alleinerziehenden in starren Arbeitsmodelle viel zu oft liegen: Kinderarzttermine, Therapietermine, Kita- und Schulveranstaltungen, Reparaturen usw. Durch die flexible Einteilung, kann hier systematisch Ausgleich geschaffen werden, was wiederum Alleinerziehende entstresst und die eigene Resilienz und Performance stärkt.

Unternehmen können hier unterstützen, indem sie über solche Möglichkeiten der Flexibilisierung wöchentlicher Arbeitszeit sprechen. Zusätzlich kann die individuelle Betreuung von Kindern Alleinerziehender, beispielsweise an einem Nachmittag die Woche, bezuschusst werden. Solch ein Zuschuss für die private Kinderbetreuung kann vom Unternehmen in voller Höhe als Betriebskosten steuerlich abgesetzt werden.

  • Monatlich definierte Arbeitszeiten schaffen Raum für Regeneration

Für Alleinerziehende empfinde ich projektorientierte Arbeitsmodelle, die eine monatliche Arbeitszeit beispielsweise von 120 bis 130 Stunden umfassen, ideal. Die Idee dahinter ist, dass Mitarbeiter*innen selbstbestimmt, innerhalb eines Monats, arbeitsintensive Phasen mit weniger intensiven Phasen abwechseln können. Das bietet ihnen die notwendige Flexibilität, um erfolgreich zu arbeiten, genug Arbeitszeit zu sammeln, familiären Herausforderungen wie z.B. Krankheit unbürokratisch gerecht zu werden und ebenso Entlastungsphasen für die eigene Regeneration zu nutzen. Mitarbeitende können über die zeitliche Erfassung am Monatsende eine interne Rechnung über die erfolgte Arbeitszeit stellen.

Viele dieser Möglichkeiten können miteinander kombiniert werden, bieten individuell passende Arbeitsmodelle bieten und machen Erfolg und Vereinbarkeit für mehr Alleinerziehende möglich.


Luisa Hanke ist systemischer Coach, Unternehmensberaterin, studierte Soziologin und alleinerziehende Mutter. Als Gründerin des Vereinbarkeits LABs unterstützt sie berufstätige Eltern und Unternehmen für mehr Vereinbarkeit, familienfreundliche Karrieren und zukunftsfähige Arbeitskulturen. Website | LinkedIn | Instagram

1 Kommentare

  1. Super Artikel. Ich denke, dass viele Punkte, die hier aufgelistet sind würden unsere Arbeitswelt menschlicher machen. Einzige Ausnahme – die Garderobe. Ich würde gerne was anderes als Jogginghose und Hausschuhe anziehen 😅

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