Die Krise als Chance, heieiei, kaum ein Allgemeinplatz wird derzeit mehr gequält als dieser. Die Krise als Chance – echt jetzt? Ja, echt jetzt, denn trotz der großen Popularität ist an diesem Gedanken viel Richtiges. Die Herausforderung besteht allerdings darin, konkretes Handeln abzuleiten, damit das gelingen kann. Wagen wir einen Versuch – und stellen dabei nicht die Organisation oder den Vorstand, sondern die Führungskraft einmal in den Mittelpunkt. Welche Fragen sollten Führungskräfte jetzt mit wem besprechen, damit die Krise tatsächlich eine Chance ist?
Vorher jedoch: Ein kleiner Schritt zurück und den Blick darauf geworfen, worum es handlungsnah gehen soll. Wir befinden uns in der Coronakrise, und niemand weiß, wie lange diese noch genau dauern wird. Also macht es Sinn, sich mit dem Tatbestand der Krise ein wenig auseinanderzusetzen.
Krise – Was heisst das eigentlich?
Um „Krise“ zu definieren, reizt ein schnelles Googeln, ein kurzer Blick auf Wikipedia. Widersteht man diesem Reiz und versucht es aus dem eigenen Verständnis, kommt man vielleicht auf folgendes: “Krise” bezeichnet eine schwierige Situation, die den Status quo, das Immer-weiter-so, gefährdet.
Krise zeigt sich konkret: Sinkende Absatzzahlen, Umsätze und Gewinne. Angst, Unsicherheit, fehlende Antworten auf drängende Fragen.
Krise zeigt sich systemisch: Schwächen im Geschäftsmodell (z. B. extrem kurze Refinanzierungszyklen wie im Textileinzelhandel), Schwächen in der IT (z.B. fehlende Mobilgeräte und schwächelnde Server, die den Wechsel in die Remote-Arbeit sehr mühsam machen) usw.
Und Krise zeigt sich: grundsätzlich. Weil vieles nicht mehr funktioniert, wie wir es immer schon gemacht haben. Krise nötigt also zum Handeln, ob man will oder nicht. Ich muss Veränderungen veranlassen, um krisenhafte Situationen nicht eskalieren zu lassen. Ich bin in diesem Sinne also Teil der Krise.
Ich in der Krise
Eine der vielen Fragen, die durch dieses Frühjahr geisterten, beschäftigte sich damit, wie ich als Individuum mich zur Krise stellen will oder kann. Bleibe ich in der Angst stecken und erstarre vor Schreck? Oder lasse ich mich vom Schrecken wecken? Schaffe ich es, Lehren daraus zu ziehen, was nicht mehr funktioniert, um abzuleiten, wie ich mich anders verhalten sollte als vorher? Und wachse ich am Ende sogar daran, auch die größten Schwierigkeiten zu meistern?
Was deutlich wird: Die Bewältigung einer Krise beginnt immer bei mir selbst. Ich muss, gerade als Führungskraft, für mich selbst sorgen. „Eine Hand für mich, eine Hand fürs Boot.“ Dieser Ausspruch meines Coaching-Ausbilders Heinrich Fallner hat sich tief eingeprägt.
Man kann diese Erkenntnis nicht ernst genug nehmen. Denn als Führungskraft muss ich nicht nur die Krise für mich klar kriegen: Ich muss auch noch aushalten, dass mein Team, meine Mitarbeiter*innen auf mich schauen und verunsicherte Blicke mich fragen: Wie schlimm ist es? Wo soll es jetzt hingehen? Was können wir tun? Und ich muss es aushalten, dass mein*e Vorgesetzte*r auch noch auf der Suche nach geeigneten Strategien und Verhaltensweisen ist.
Führungskräfte in der Krise
Als Berater in der Krise habe ich in den letzten Monaten vor allem eines erlebt: Führungskräfte sind überfordert damit, gleichzeitig die Krise zu managen und Zukunftsstrategien zu entwickeln. Wenn ich am Ende des Tages die neuen Verordnungen umgesetzt, die neuen Marktentwicklungen in Vertriebsmaßnahmen übersetzt oder die Anträge für Fördermittel gewissenhaft ausgefüllt habe – dann ist häufig keine Energie und kein Raum mehr da, um in größeren Kategorien zu denken.
Und wenn doch: Dann helfen erprobte, bewährte Vorgehensweisen gerade nicht weiter, alle sind auf der Suche nach neuen Antworten und vor allem: Alle schauen sich gegenseitig beim Suchen zu. Best Practices: Fehlanzeige. Beim Wettbewerb abgucken: Überflüssig.
Diese Fragen sollte jede Führungskraft jetzt stellen
Diese Analyse hat vor allem eine Konsequenz: Man ist als Führungskraft mehr denn je auf sein eigenes Team angewiesen. Um gemeinsam darüber nachzudenken, was zu tun ist und zu tun sein wird. Weil es von außen einfach niemand sagen kann. Ein guter Führungsimpuls kann also vor allem darin bestehen, die richtigen Fragen aufzuwerfen. Und davon gibt es gerade ja nicht zu wenige. Ein paar Beispiele gefällig?
Wie halten wir Nähe im Team aufrecht?
Das Home Office ist eine gute Möglichkeit, Führung zu entkommen – weil es viel leichter fällt, Distanz zu schaffen. Andererseits haben wir wegen ausgefallener Termine vielleicht mehr Zeit als vor Corona, uns miteinander zu befassen. Wie schaffen wir Nähe, auch wenn wir uns persönlich nicht begegnen?
Meine Vorschläge :
Ein Check-in in jedem Online-Meeting zur Frage, wie es jedem Teilnehmenden gerade geht, berücksichtigt die besondere Situation.
Gut vorbereitete Team-Meetings, die sich nicht mit Fragen zu Projekten oder Kunden beschäftigen, sondern mit der Zusammenarbeit im Team, schaffen Raum für Kritik und Ideen und verbessern so die Arbeitsprozesse.
Ein tägliches Kaffee-Meeting, bei dem die Teilnahme freiwillig ist und über alles (auch außerhalb der Arbeit) geredet werden darf, sorgt zumindest teilweise für den wichtigen Ersatz der „Gespräche an der Kaffeemaschine“.
Wie können wir die Chance nutzen, in unserem Team mehr Eigeninitiative und Selbstbestimmung zuzulassen?
Mitarbeiter*innen im Home Office hierarchisch zu führen ist fast nicht möglich – denn die üblichen Kontrollmechanismen greifen nicht über die Distanz. Als Führungskraft kann ich aber führen, in dem ich Zwecke und Ziele formuliere. Attraktive (auch kleine) Projekte mit einem klar formulierten Rahmen, für die Mitarbeiter*innen sich freiwillig melden können, um sich dann eigenständig zu organisieren und gemeinsam an einem guten Ergebnis zu arbeiten, sorgen für Freiraum und gemeinsame Motivation, bestenfalls auch über Abteilungsgrenzen hinweg.
Wie können wir die neuen Vereinbarkeitsmodelle verstetigen, um allen Mitarbeiter*innen auch zukünftig mehr Möglichkeiten zu schaffen?
In der Krise wurden viele Freiheiten im Zusammenhang mit der Kinderbetreuung gewährt, von der Arbeit im Home Office bis zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten oder gar einer Arbeitsbefreiung. Diese einfach wieder abzuschaffen, wäre eine verschenkte Chance. Indem ich als Führungskraft Transparenz über all die individuellen Lösungen schaffe und mit meinem Team darüber diskutiere, werden die Vorteile sichtbar und Störgefühle bzgl. möglicher Ungerechtigkeiten abgebaut oder konkret benannt
Wie können wir die neue digitale Arbeitsdichte steuern, um Überforderungen zu vermeiden?
Digitale Zusammenarbeit macht es notwendig, für ausreichend Pausen zu sorgen, die in der engeren Arbeitstaktung verloren gehen, wenn man sie nicht neu und auch formal organisiert. Die Thematisierung der Arbeitstaktung mit jedem einzelnen Mitarbeitenden ist eine aktuell häufig unterschätzte Führungsaufgabe.
Welche gelungenen Experimente sollten wir für die Zukunft sichern? Welche Experimente können wir jetzt neu wagen und welche Zukunftschancen sehen wir in Ihnen?
In der Auflösung alter, nicht mehr funktionaler Strukturen wurden viele kleine Neuerungen einfach experimentell ausprobiert statt sie lange vorzudenken und abzustimmen. Dabei sind viele Innovationen entstanden, deren Sicherung sich lohnen wird. Zudem werden in der Krise Experimente möglich, die sonst von der Organisation kaum toleriert würden.
Meine Handlungsempfehlungen:
Hierzu einen gut vorbereiteten Workshop mit dem Team zu veranstalten, wird sich in der Regel sehr lohnen.
Zu überlegen, welche Änderungen sich positiv ausgewirkt haben, sichert diese (möglicherweise) verborgenen Schätze. Man kann sie formulieren und ihre Verstetigung sichern.
Darüber hinaus Ideen festzuhalten, was man einmal ausprobieren sollte, und den jeweils konkreten ersten Umsetzungsschritt zu formulieren, wird die eine oder andere Innovation auf den Weg bringen, die sich im weiteren Verlauf der Krise oder danach sehr auszahlen kann.
Die Auseinandersetzung mit diesen (und anderen) Fragen ist höchst relevante Führungsarbeit in Krisenzeiten. Ebenso die Bündelung von Ideen und Organisation, dass hieraus konkrete Maßnahmen umgesetzt werden.
Wichtig ist dabei noch eines: Man sollte die Fragen mit denen bewegen, die am Ende an der Umsetzung von Maßnahmen, Veränderungen etc. beteiligt sein werden. Damit nutzt man einerseits die verschiedenen Perspektiven und schlauen Köpfe zur Formulierung kluger Antworten – und erzeugt andererseits Motivation und Hintergrundwissen für die Umsetzung.
Zum Nachdenken & Nachmachen
- Um die Krise zu managen und gleichzeitig in die Zukunft zu denken, musst Du Dich und Dein Team entsprechend organisieren, damit beides gelingt.
- Als Führungskraft kannst Du auch mit guten Fragen führen statt Antworten geben zu müssen. Indem Du diese aufwirfst, eröffnest Du Dir und Deinem Team viele Chancen, auch (und vielleicht gerade) in der Krise zu wachsen.
- Bewege die Fragen mit denen, die am Ende an der Umsetzung von Maßnahmen, Veränderungen etc. beteiligt sein werden, um Wissen und Motivation des Teams zu sichern.
Sehr toller Artikel Marc,
ich habe mir viele Ansätze adoptiert und werde diese in meiner Vertriebsbesprechung mit der GF am 7.10. mit einbinden. Darf ich in Deinem Artikel etwas wildern und mir Argumenten für eine Kundenansprache für unsere Sache heraus nehmen?
Hallo Frank, vielen Dank für Dein positives Feedback! Ich freue mich sehr, wenn Du meine Gedanken aufnimmst und für Dich weiterdenkst. Generell (und nur der Vollständigkeit halber erwähnt) freuen sich alle Autoren darüber, dabei an geeigneter Stelle als Quelle genannt zu werden. Herzlich, Marc